Otto und Gertrud Mörike - Kirchlicher Widerstand im Nationalsozialismus

Methodenvorschlag

Lernorterkundung

Im Landeskirchlichen Archiv Stuttgart liegen die Personalakte Otto Mörikes sowie Dokumente der Privatsammlung Mörike-Metzger. Da ein Großteil der in den Unterrichtsvorschlägen genannten Quellen mit Schreibmaschine verfasst ist, eignen sie sich auch für die Arbeit mit Schülern am Original.


Behandlung des Themas in der Schule

Das Thema “Otto und Gertrud Mörike – Kirchlicher Widerstand im Nationalsozialismus“ eignet sich für die Behandlung in der Werkrealschule in Klasse 9 im Fächerverbund Welt-Zeit-Gesellschaft unter dem Thema “Macht und Herrschaft“ sowie in der Realschule und der Sekundarstufe I und II des Gymnasiums.

 

Offener Widerstand 1938
– die Wahlerklärungen Ottos und Gertrud Mörikes


Zentrale Dokumente sind die beiden Wahlerklärungen von Otto und Gertrud Mörike ( T 1 und T 2 ), wobei erstere für den Einsatz im Unterricht der Werkrealschule und in der Sekundarstufe I gekürzt werden sollte.

Einstieg in das Thema kann ein Brainstorming zum Begriff “Widerstand“ sein, das in die Fragestellung mündet, wie sich Widerstand äußern kann.
Eine andere Möglichkeit wäre die Projektion des ersten Textabschnittes der Kirchheimer Gedenktafel ( B 10 ) verbunden mit der Frage, warum ein Zimmer im ehemaligen Stadtpfarrhaus Kirchheim nach dem Ehepaar Mörike benannt wurde ( B 1 )

 

Für die Werkreal- und Realschule sowie Sekundarstufe I bietet sich eine Analyse der Wahlerklärung Otto Mörikes an, die in die Erkenntnis münden sollte, dass Mörike durchaus differenziert argumentiert, indem er dem Anschluss Österreichs zustimmt und die Leistungen der Regierung auf sozialem und wirtschaftlichem Sektor zwar anerkennt, den Umgang der Regimes mit Gegnern und mit der Kirche jedoch scharf kritisiert.

In der Sekundarstufe II kann der Erklärung Otto Mörikes die seiner Frau Gertrud gegenübergestellt werden, welche zwar kürzer, aber in ihrer Aussage eindeutiger ist, da sie beide Fragen mit einem eindeutigen “Nein“ beantwortet. Die Quelleninterpretation mündet in eine Diskussion über die Frage, ob es sich hier um politischen Widerstand handelt und - in Sekundarstufe II - ob Gertruds Erklärung eine radikalere Ablehnung des Regimes und eine mutigere Stellungnahme bedeutet als die Ottos.

 

Multiperspektive Betrachtungen

- Reaktionen des Regimes
In der Folge sollen die Schüler Vermutungen über mögliche Reaktionen der Regimes äußern, die anhand eines Textausschnitts aus Mörikes “Denkschrift über die Kirchheimer Vorgänge“ ( T 3 ) überprüft werden. Dem schließt sich die Frage an, welches das schwerere Vergehen sei: die Wahlerklärung oder der Hausfriedensbruch und die körperlichen Misshandlungen, wegen derer Mörike und der Oberkirchenrat in der Folge Strafanträge stellten.

Während dieses Ermittlungsverfahren jedoch eingestellt wurde, kam es im Verfahren gegen Mörike zu einer Verurteilung. Die Analyse von Mörikes Schlusswort bei der Gerichtsverhandlung ( AB 1 ) und der Vergleich seiner Definition von “Heimtücke“ mit dem Gesetzestext führt zu einer Diskussion über Absicht und Folgen des “Heimtückegesetzes“. Dessen Anwendung kann schließlich anhand von Ausschnitten aus dem Gerichtsurteil gegen Mörike ( AB 2 ) reflektiert und beurteilt werden. Dies schult Urteils- und Orientierungskompetenz.
Die Diskussion der Anfangs gestellten Problemfrage, inwiefern es sich bei der Abgabe der Wahlerklärungen um politischen Widerstand handelte, schließt die Unterrichtssequenz ab.

- Reaktionen kirchlicher Instanzen
Die Beschäftigung mit dem Thema kann dahingehend ausgeweitet werden, dass die Schüler in einem weiteren Schritt die Reaktionen kirchlicher Instanzen sowie der Bevölkerung Kirchheims auf die Wahlerklärung Mörikes und auf dessen Behandlung durch die Nationalsozialisten untersuchen.
Dies sollte arbeitsteilig und kann aufgrund der unterschiedlichen Umfänge und Schwierigkeitsgrade der Texte auch binnendifferenziert geschehen, wobei die Auswertung in eine Kategorisierung der Stellungnahmen münden sollte.

Es bieten sich Auszüge aus der Predigt an, die Oberkirchenrat Sautter am Osterfest (17.4.1938) in Kirchheim hielt. Hierin wird deutlich, dass Sautter zwar versucht, die Beweggründe Mörikes für die Abgabe seiner Wahlerklärung nachzuvollziehen, er im Grunde jedoch nicht hinter dem Pfarrer steht, da “man mit derartigen Vorgängen dem Führer einen schlechten Dienst erweist“ ( T 4 ).

Die Inhalte der Predigt entsprechen der offiziellen ambivalenten Reaktion des Oberkirchenrats, der das Vorgehen gegen Mörike verurteilt, Mörikes Verhalten aber ebenso missbilligt ( T 5 ).

Der Kirchengemeinderat wie auch einzelne Gemeindemitglieder von Kirchheim/Teck setzen sich in Briefen an den Oberkirchenrat und Landesbischof für den Verbleib Mörikes im Amt ein. Bei der Analyse des Schreibens des Kirchengemeinderats an den Oberkirchenrat ( T 8 ) sollte erkannt werden, dass die Kirchengemeinderäte politisch Stellung beziehen, indem sie vor “Rechtsunsicherheit“ warnen, sollte mit der Behandlung Mörikes ein “Präzedenzfall“ geschaffen werden.

- Reaktionen aus der Bevölkerung
Die Kritik eines Kirchheimer Bürgers in Folge dieser Predigt, der in einem Brief an Sautter eine Trennung von politischen und kirchlichen Angelegenheiten fordert ( T 6 ), kann neben einem weiteren Baustein zur multiperspektivischen Betrachtungsweise auch Ausgangspunkt für die Beschäftigung mit der Rolle der evangelischen Kirche im Nationalsozialismus sein. Die briefliche Reaktion Sautters dient hierfür als Impuls ( T 7 ).

- Reaktion Gertrud Mörikes
Ein weiterer interessanter Aspekt ist die Reaktion Gertrud Mörikes auf die Geschehnisse. In einem Brief an Reichsstatthalter Murr setzt sie sich für ihren Mann ein und macht sich dazu die ideologischen Grundlagen des Nationalsozialismus zunutze ( T 9 ). Diese Argumentationsstrategie herauszuarbeiten, ist jedoch eher ein Arbeitsauftrag, der für Sekundarstufe II geeignet ist.

Exkurs: Reflexion über die Methode “Oral History“
(Sekundarstufe II)

Für die Sekundarstufe II bietet sich zudem noch ein Exkurs zur Schulung der Methodenkompetenz an.
Kurz vor seinem Tod am 9. Juni 1978 gab Otto Mörike dem damaligen Süddeutschen Rundfunk ein Interview unter dem Titel “Anstöße“, in dem er von seinem Leben erzählt ( A 1). Knapp zwei Wochen nach seiner Verhaftung im April 1938 hatte er die Vorgänge in Folge seiner Wahlerklärung bereits schriftlich festgehalten.
Vergleicht man die Schilderung der Geschehnisse im Interview und in der Denkschrift miteinander ( AB 3 ), so fällt der Detailreichtum im zeitnahen Bericht auf, während sich Mörike im Interview 40 Jahre später sehr viel ungenauer und abgeklärter zu den Vorfällen äußert. Die Analyse der Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Berichte und deren Interpretation kann Anlass für eine Reflexion über die Methode “Oral History“ sein, da beim Vergleich der beiden Texte eindrucksvoll sichtbar wird, wie selektiv und konstruiert Erinnerung ist.

Im Einstieg werden die Schüler die Schüler dazu aufgefordert, ein Ereignis aus ihrer Kindheit zu erzählen, das ihnen besonders im Gedächtnis geblieben ist, mit der Begründung, warum sich dieses wohl derart eingeprägt hat. Diese Vermutungen werden festgehalten (denkbar ist Emotionalität, Einzigartigkeit etc.). Die sich anschließende Frage, inwiefern die Erinnerung der Schüler “Realität“ transportiere, wird untermauert mit der These: “Erinnerung ist ein Drehbuch“. Diese Behauptung soll in der Stunde anhand der beiden o.g. Quellen überprüft werden.

Für die Erarbeitung ist neben den bereits genannten Unterschieden insbesondere ein Detail interessant: In der Denkschrift erwähnt Mörike eine Frau, die ihm ins Gesicht gespuckt habe, während er im Interview von “Weibern“ spricht, “die waren schlimm, die haben mich angespuckt und so fort“. Die Schüler sollen in diesem Zusammenhang Vermutungen anstellen, warum Mörike in der späteren Schilderung im Plural spricht. Denkbar ist, dass er insbesondere über die Tatsache, von einer Frau in derart erniedrigender Weise angegangen worden zu sein, sehr betroffen und empört war. Die Fassungslosigkeit und Bestürzung hat sich in der Erinnerung verstärkt und schlägt sich in der autobiografischen Schilderung durch eine Potenzierung der Angreiferinnen nieder.

Durch einen Auszug aus einem wissenschaftlichen Artikel ( AB 4 ) soll diese Vermutung über die Funktionsweise des menschlichen Gedächtnisses untermauert werden.

In der Abschlussreflexion soll dann unter der Frage “Welchen Nutzen haben Lebenserinnerungen für den Historiker ?“ über die Methode der Zeitzeugenbefragung und des Quellenwerts von Autobiografien diskutiert werden.
Diese Diskussion kann abgerundet werden durch ein Zitat, das die Problematik “Konstruierte Erinnerung oder historische Wirklichkeit?“ auf den Punkt bringt ( T 10 ), damit auf die Leitfrage der Stunde zurückverweist und so neben der Methoden- auch die Orientierungskompetenz schult.

 

Rettungswiderstand 1943
- Die Odysee des Ehepaars Krakauer

Als Beispiel für eine Form des Widerstands, die erst seit Mitte der 1990er Jahre in den Fokus des Wissenschaft gerückt ist, bietet sich die Beschäftigung mit Max und Karoline Krakauer und mit der Rolle, die das Ehepaar Mörike für dieses Ehepaar gespielt hat, an.

Einstieg in dieses Thema können die 47 Stationen der Flucht im südwestdeutschen Raum sein.
Die Betrachtung der Odysee kann zu folgenden Fragen führen:
- Wie ist es gelungen, das Ehepaar bis Kriegsende verborgen zu
halten?
-Welche Schwierigkeiten waren mit der Beherbergung der Krakauers
verbunden?
- Welche Beweggründe leiteten die Helfer und insbesondere das
Ehepaar Mörike?

Den Schülern wird nun der entsprechende Ausschnitt aus dem Interview “Anstöße“ entweder als Tondokument (A 1) oder in der Transkription vorgelegt, in dem das Ehepaar Mörike über die Beherbergung und die Flucht der Krakauers spricht. Die Beweggründe für ihre Hilfe erläutern Otto und Gertrud Mörike auch noch in weiteren Texten. Diesen sollen sie unter o.g. Fragestellungen (aufgrund der Länge der Texte evtl. auch arbeitsteilig) analysieren ( AB 5 ).

Als weitere Quelle bieten sich zur Vertiefung und Schulung der Multiperspektivität Auszüge aus den Erinnerungen Max Krakauers an ( T 11 ).

Die Schwierigkeiten, die mit der Beherbergung der Verfolgten für die Hausfrau verbunden waren und von Gertrud Mörike im Interview bereits angedeutet werden, können anhand eines weiteren Textes veranschaulicht werden ( T 12 ).

Beurteilung und Transfer

Unabhängig davon, welchen Schwerpunkt man in der Beschäftigung mit Otto und Gertrud Mörike im Unterricht wählt, kann am Ende immer die Beurteilung der Frage stehen, inwiefern es sich im Wirken des Ehepaars um Widerstand handelt. Damit verbunden ist eine Auseinandersetzung mit dem Widerstandsbegriff im Allgemeinen.

Impuls für einen Transfer kann die Aufforderung Martin Bubers aus dem Jahr 1934 sein: “Du sollst dich nicht vorenthalten!“. Nach dieser Devise hat das Ehepaar Mörike bis ins hohe Alter gelebt. Ihr Handeln war getragen von Frömmigkeit und einem - insbesondere bei Otto Mörike – stark ausgeprägten Gerechtigkeitsempfinden, das ihn dazu trieb, sich überall einzumischen, wo seiner Meinung nach Fehler gemacht und Ungerechtigkeiten verübt wurden.
Eine Zusammenfassung der Beweggründe Otto Mörikes kann den Schülern anhand eines Auszugs aus der Biografie Joachim Scherriebles vorgelegt werden, in dem auch ein Ausblick auf sein späteres Engagement gegeben wird, durch das Mörike auch nach dem Krieg ein “Stachel im Gewissen der Menschen“ blieb ( T 13 ).

Wann ist es wichtig, sich “nicht vorzuenthalten“, sich einzumischen? Macht Widerstand überhaupt Sinn? Und welche Verantwortung trägt der Einzelnen in der Gesellschaft?
Das sind Fragen, die die Schüler zur eigenen Bewertung auffordern, Urteilsfähigkeit fördern und Orientierungskompetenz schulen.

 

- Arbeitskreis Landeskunde/Landesgeschichte RP Stuttgart -