Der Mössinger Generalstreik vom 31. Januar 1933
Hintergrundinformationen
1.1 Bedeutung
B 19 Mössingen ca. 1914
© Stadtarchiv Mössingen
Der Mössinger Generalstreik ist die erste widerständige Aktion gegen die nationalsozialistische Diktatur im Deutschen Reich. Ca. 800 Demonstranten wurden nach einem Protestmarsch schließlich von der Reutlinger Polizei auseinandergetrieben. Dieser "Aufstand" fand nicht in einem Zentrum der Arbeiterbewegung statt, sondern in einem schwäbischen Industriedorf. In Mössingen hatten die Kommunisten eine breite Basis nicht nur in der Partei, sondern auch in Vereinen und in der Einkaufsgemeinschaft des "Konsum". Dieses Modul spürt den Wurzeln des Streiks nach und stellt seine nach wie vor kontroverse Bewertung dar. Das Thema "Mössinger Generalstreik" kann didaktisch mehrere Funktionen übernehmen:
- als reichsweit erste Widerstandsaktion gegen das Hitler-Regime.
- als Prototyp für ein kommunistisch geprägtes Milieu im ländlichen Württemberg.
- als Möglichkeit, von Zeitzeugenäußerungen aus die Vergangenheit zu rekonstruieren.
- als Folie, vor der bis heute kontrovers diskutiert wird, wie mit dem Erbe des kommunistischen Widerstands umzugehen ist.
- als Exempel, wie die Machtübertragung an Hitler erlebt wurde.
- als Scharnier zwischen Weimarer Republik und NS-Diktatur.
1.2 Geschichte
B 2 Hermann Ayen mit einem Fuhrwerk: führender Kommunist in Mössingen, zugleich Nebenerwerbslandwirt
© Stadtmuseum Mössingen
Die Vorgeschichte
1869
Anschluss Mössingens ans Eisenbahnnetz
ab 1871
Ansiedlung von Textilfabriken
1898
Gründung des Konsumvereins
1901
Gründung einer Ortsgruppe der SPD
1904
Gründung des Turnvereins Mössingen
1905
Beitritt des Turnvereins zum Arbeiterturnerbund
1906
Erster Streik von Webern der Buntweberei, die für tarifliche Lohnvereinbarungen kämpfen.
1912
Arbeiter-Radverein
1920
Arbeiter-Sportkartell
1922
Arbeitergesangverein Freiheit
1924
KPD stärkste Partei am Ort (26,5 %)
1925
Fertigstellung der Turnhalle
1930/31
Kampfbund gegen den Faschismus
1932
Antifaschistische Aktion
B 5 Der Mössinger Konsumverein
© Stadtmuseum Mössingen
Der 30./31. Januar 1933
30. Januar, Abend: Versammlung an der Turnhalle und Umzug der antifaschistischen Aktion
30. Januar, Nacht: Eintreffen des Flugblatts aus Stuttgart
31. Januar, Morgen: Verteilen des Flugblatts vor den Fabrikhallen
ab 12.00 Uhr: Versammlung von ca. 100 Personen vor der Turnhalle
12.30 Uhr: Demonstrationszug setzt sich in Bewegung
vor 12.45 Uhr: erste getrennte Abstimmung in den Pausa Werken (Reutlinger Straße und Falltorstraße)
12.45 Uhr: Eintreffen bei den Pausa-Werken: Ansprache von Fritz Wandel
13.00 Uhr: Betriebsversammlung der Pausa-Werke und erneute Abstimmung aller Pausa-Arbeiter
13.45 Uhr: Der Demonstrationszug setzt sich auf der Falltorstraße wieder in Bewegung
kurz vor 14.00 Uhr: Der Zug kommt vor der Fa. Merz an (ca. 600 Teilnehmer)
14.00 Uhr: Auseinandersetzungen in verschiedenen Fabriksälen der Fa. Merz, im Nähsaal kommt es zum Tumult
15.15 Uhr: Der Demonstrationszug formiert sich wieder (ca. 800 Personen)
15.30 Uhr: Eintreffen des Demonstrationszuges vor dem verschlossenen Hoftor der Fa. Burkhardt
16.00 Uhr: Zusammentreffen mit der Polizei in der Bahnhofsstraße
16.30 Uhr: Auflösung des Demonstrationszugs und Ende des Generalstreiks
B 11 Beweisfoto vom Versuch, die Türe aufzubrechen in der Burkhardtschen Fabrik (der Aufbruchsversuch wurde auf Anweisung der Streikleitung abgebrochen, Beweisfoto aus dem Strafprozess gegen die Streikenden)
© Staatsarchiv Sigmaringen Wü 28/3 T 13 L 38/33 Fasz. B Qu. 38
Nach dem Generalstreik
Anfang Februar: 58 Festnahmen, 98 Anklagen, davon 92 wegen Landfriedensbruchs und 6 wegen Hochverrats, 80 Verurteilungen (Haftstrafen zwischen 3 Monaten und 2 1/2 Jahren); Fritz Wandel erhält 4 1/2 Jahre
bis April 1933 Auflösung sämtlicher Arbeitervereine
12.11.1933 Reichstagswahl
Von 1839 Mössingern machen 178 ihren Stimmzettel ungültig
1934 Bei der Volksabstimmung zur Zusammenlegung der Ämter von Reichskanzler und Reichspräsident stimmen 141 von 1912 Mössingern mit Nein, 52 Stimmen waren zudem ungültig
Kreistagswahlen 1946: Kommunisten 33,6 % Sozialdemokraten 16,6%
1954/55: Rehabilitation der Generalstreikenden durch zwei Gerichtsurteile des Landgerichts Tübingen und des Oberlandesgerichts Stuttgart
ab 1974: historische Aufarbeitung des Generalstreiks durch das Tübinger Ludwig-Uhland-Institut
29.1.1983 Kundgebung mit 10.000 Teilnehmern am Viehgarten vor der Langgass-Turnhalle: Gedenken an den 50. Jahrestag des Generalstreiks
ab 1985 Aufbau eines Mössinger Museums
2003 erste Ausstellung zum Generalstreik mit Einführungsvortrag von Prof. Jürgen Wertheimer; anlässlich des 70-jährigen Jubiläums Erwähnung auf der Homepage der Stadt Mössingen
2011 Antrag der FWV auf Unterstützung einer neuen wissenschaftlichen Aufarbeitung
B 22 Inschrift zu Ehren der Generalstreikenden an der Langgass-Turnhalle
© Stadtmuseum Mössingen
1.3 Anlage
Die Erinnerungsorte zum Mössinger Generalstreik sind quer über den ganzen Ort verteilt.
Prominentester Ort der Arbeiterbewegung war die Langgass-Halle. Von hier aus nahm der Demonstrationszug seinen Anfang.
B 20 Luftansicht Mössingens ca. 1970
© Stadtarchiv Mössingen
Der Weg des Demonstrationszuges führt quer durch die Stadt über die Falltorstraße bis zur Bahnhofsstraße und kann auch heute noch abgeschritten werden.
Auf dem Weg erreicht man u.a. die Mössinger Kulturscheune, in der sich eine Ausstellung zum Mössinger Generalstreik (bis 15.12.2013) befindet.
B 9
Trommel und Pfeife, am Vorabend des Generalstreiks zog die Antifaschistische Aktion Mössingen mit Trommeln und Pfeifen durch den Ort, heute Teil der Ausstellung zum Mössinger Generalstreik
© Stadtmuseum Mössingen
Von den Fabrikgebäuden der auf dem Demonstrationszug liegenden Firmen steht heute lediglich noch das der Firma Burkhardt. Als weiterer Lernort steht das Stadtarchiv zur Verfügung, in dem der Großteil der Dokumente zum Mössinger Generalstreik aufbewahrt wird.
- Arbeitskreis Landeskunde/Landesgeschichte RP Tübingen -