Hintergrundinformationen

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1.1 Bedeutung

Mit der Bezeichnung als „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ wird dem Ersten Weltkrieg weitreichende Bedeutung für die späteren historischen Entwicklungen und Verwicklungen zugemessen. Die Folgen und die aktuelle Bedeutung des Ersten Weltkriegs zeigen sich auf ganz verschiedenen Feldern. Auch und gerade die langfristig fatalen politischen Nachwirkungen des Ersten Weltkriegs sind es, die seine intensivere Behandlung im Unterricht rechtfertigen.

Die vorgelegte Auswahl von Quellen und Materialien behandelt politische, wirtschaftliche, soziale und mentale Phänomene der Jahre 1914 bis 1919 auf der lokalen Ebene. Ulm steht dabei einerseits exemplarisch für die politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen, zeigt andererseits durch seine Eigenschaft als Garnisonstadt und seine stark militärische Prägung (auch des zivilen Lebens und der Mentalität der Bevölkerung) einige Besonderheiten.
Mit der Stimmung bei Kriegsbeginn und der Haltung der Räte im November 1918 werden auf lokaler Ebene die politischen Gemengelagen sichtbar, die auch im Reich vorherrschten. Exemplarisch für die prekäre wirtschaftliche Lage des Reiches steht ein Bericht über die Versorgungslage der Ulmer Bevölkerung im den Kriegsjahren. Wie sehr der Erste Weltkrieg zum Propagandakrieg auch auf der Alltagsebene wurde, zeigen die Materialien, die Kinder zum Gegenstand oder Adressat von Propaganda machen. Fast scheint es, als solle die Einbeziehung von Kindern einerseits, des vertrauten Nahumfelds andererseits in diesem Zusammenhang dem Krieg einen Teil seines Schreckens nehmen.

Das Unterrichtsmodul regt auf der Basis verschiedenartiger Quellengattungen zur selbstständigen Recherche an, wobei (etwa anhand des Aspekts der Propagandaanalyse) auf gegenwartsbezogene Fragestellungen besonderes Augenmerk gelegt wird. Im Mittelpunkt steht die Entwicklung und Begründung eines eigenen Standpunkts im Kontext historischer und aktueller Problemlagen.

1.2 Geschichte

Die Garnisonstadt Ulm war durch die Stationierung von zeitweise 25.000 Soldaten stark militärisch geprägt. Mit der Verhängung des Kriegszustandes im Reich am 31.7.1914 ging die vollziehende Gewalt auch in Ulm formal an das Militär über. Die zivilen Behörden waren nun dem in Ulm ansässigen stellvertretenden Generalkommando unterstellt.

Das preußisch dominierte Kaiserreich war lange Jahre auf politische Ausgrenzung ausgelegt, welche sich gegen Sozialdemokraten, Katholiken und andere Gruppen richtete. Bei Kriegsbeginn wurde allerdings der viel zitierte „Burgfrieden“ ausgerufen. Der Kaiser kannte nach eigenem Bekunden keine Parteien mehr, „sondern nur noch Deutsche“. Die Sozialdemokraten hatten bis kurz vor dem Krieg noch scharf vor dessen Ausbruch gewarnt und organisierten Proteste. Tatsächlich schwenkten allerdings im August 1914 alle Parteien samt der großen Mehrheit der eher systemkritischen Sozialdemokraten auf Kriegskurs ein. Es folgte eine mit dem Begriff „Augusterlebnis“ gefasste Kriegsbegeisterung, die jedoch zumindest zum Teil Produkt von Inszenierungen war. Die Stimmungslage der Ulmer Bevölkerung bei Kriegsausbruch stellte sich uneinheitlich dar. Eine allgemein um sich greifende Kriegsbegeisterung ist aus den Quellen nicht zu belegen.

Der Krieg entwickelte sich, nicht zuletzt aufgrund der englischen Seeblockade, immer mehr zum Wirtschaftskrieg. In Deutschland nahm die Ernährungslage seit dem sogenannten "Steckrübenwinter" 1916/17 katastrophale Ausmaße an. Das gesamte zivile Leben stand schließlich im Zeichen der Kriegführung. Für den nötigen, auch wirtschaftlichen Durchgriff der Machthaber sorgte das Gesetz über den Vaterländischen Hilfsdienst vom Dezember 1916. Unzufriedenheit und Kriegsmüdigkeit der Bevölkerung nahmen in der zweiten Kriegshälfte stetig zu.

Ein kleiner, aber wachsender Teil der Sozialdemokratie um Karl Liebknecht hatte sich schon in den ersten Kriegsjahren gegen die Kriegführung positioniert und stimmte im Reichstag gegen die Bewilligung der Kriegskredite. Dies mündete in die Abspaltung der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei, deren Ulmer Ortsgruppe 1917 gegründet wurde. Die zunehmende Politisierung des Protestes manifestierte sich in der Zunahme von Streiks, und selbst unter den Soldaten gab es vermehrt Insubordinationen und Desertionen, je mehr der Krieg sich seinem für Deutschland verheerenden Ausgang näherte. Auch im Reichstag war eine zunehmende Kritik am politischen Kurs zu vernehmen.

Obwohl das kaiserliche Deutschland mit dem Frieden von Brest-Litowsk noch einen militärischen Sieg über Russland verbuchen konnte, stand es gegenüber den wirtschaftlich und militärisch spätestens nach Kriegseintritt der USA 1917 überlegenen Alliierten auf verlorenem Posten. Die militärische Führung entzog sich aber ihrer Verantwortung für das Desaster, indem sie ab September 1918 vor dem Hintergrund der Forderungen des amerikanischen Präsidenten Wilson eine Parlamentarisierung des Reiches herbeiführte und damit zugleich die Schuld an der Niederlage auf die demokratischen Parteien abzuwälzen suchte.

Anfang November 1918 vollzog sich dann der endgültige Zusammenbruch des alten Systems. Der Kieler Matrosenaufstand war das Signal für die Bildung von Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräten in ganz Deutschland. Auslöser der Revolution in Württemberg war die Verhaftung der Spartakistenführer Fritz Rück und August Thalheimer in Ulm am 6./7. November. Am 7. November folgte in Ulm eine große Arbeiterdemonstration. Wie in Berlin wurde auch in Stuttgart am 9. November 1918 die Republik ausgerufen. Zugleich wurde der Thronverzicht Wilhelms II. bekannt gemacht.
Einen Tag später stellte sich Generalmajor von Schempp, nun Befehlshaber der Ulmer Garnison, hinter die neue Regierung, den Rat der Volksbeauftragten. In Ulm bildete sich ein Arbeiter- und Soldatenrat, der am 10. November einen provisorischen Vollzugsausschuss einsetzte. Eine maßgebliche Rolle spielte hier der Ulmer SPD-Vorsitzende Friedrich Göhring. Der 11. November sah in Ulm eine Großdemonstration mit 12-15.000 Teilnehmern, bei der u.a. auch Clara Zetkin zu Wort kam, eine Führungsfigur der sozialistischen Frauenbewegung. Augenzeugen berichten von roten Fahnen, die anlässlich dieser Demonstration vom Münsterturm wehten. Insgesamt verlief die Revolution in Ulm in weitgehend friedlichen Bahnen.
Auf Reichsebene setzte die SPD schließlich, teilweise im Bündnis mit den alten kaiserlichen Eliten, gegen die Rätebewegung die parlamentarische Demokratie durch. Erheblichen Teilen der Bevölkerung blieb das neue politische System freilich fremd. Nationalistische und militaristische Kreise verklärten die Vergangenheit und lasteten mit der Kriegsniederlage zugleich das politische und wirtschaftliche Chaos der Nachkriegsjahre den Trägern des neuen Systems an.


1.3 Anlage

Das Haus der Stadtgeschichte / Stadtarchiv Ulm befindet sich auf dem Weinhof, dem Ort der ehemaligen Kapelle der Königspfalz aus staufischer Zeit. Das heutige Gebäude wurde im Jahr 1612 als Schwörhaus erbaut.
Das Haus der Stadtgeschichte - Stadtarchiv Ulm ist Gedächtnis der Verwaltung sowie zentrale Anlaufstelle für Forschungen zur städtischen Geschichte. Zu seinen Aufgaben gehören neben der Sicherung und Erschließung der städtischen Überlieferung und ihrer Bereitstellung für Interessierte auch die Erforschung der Stadtgeschichte und die historische Bildungsarbeit.
Die stadtgeschichtliche Ausstellung im historischen Gewölbesaal des Schwörhauses zeigt die wichtigsten Ereignisse und Themen der Ulmer Stadtgeschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart. Neben Exponaten, Modellen und großflächigen Darstellungen machen auch interaktive mediale Installationen einen wichtigen Bestandteil aus. An der Westwand des Ausstellungsraumes sind heute noch die aus dem Beginn des 13. Jahrhunderts stammenden Buckelquader zu sehen, die den Pfalzbezirk als Teil der Stadtmauer schützten.

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- Arbeitskreis Landeskunde/Landesgeschichte RP Tübingen -

letzte Änderung: 2013-11-14