Seminarkurs „Schülerguides“ für die KZ-Gedenkstätte Natzweiler-Struthof

Autor: Dr. Markus Bultmann

Arbeitskreis Landeskunde/Landesgeschichte ZSL Regionalstelle Freiburg

Orientierung durch Geschichte am historischen Ort

Vandalismus und Pöbeleien an KZ-Gedenkstätten? Öffentliche Zuschüsse für Demokratiebildung kürzen? „Pflichtbesuch“ für Schulklassen? „180-Grad-Wende“ in der Erinnerungskultur? „Nicht schon wieder!“? Wie konnte „das“ passieren? „Nie wieder“? Was geht „mich“ das an? Wozu KZ-Gedenkstätten?

Der Seminarkurs „Schülerguides“ nimmt Schülerinnen und Schüler mit in ihre Geschichtskultur und zugleich in die Verantwortung, sich selbst aktiv darin einzubringen. Damit macht Schule ihnen ein Angebot, sich in und durch Geschichte hier und jetzt zu orientieren.

Wer den Seminarkurs „Schülerguides“ belegt, hat einen konkreten Anlass, Fragen an Geschichte, Gegenwart und Zukunft zu stellen, Sinn und Relevanz im eigenen Handeln zu suchen, die eigene Rolle als Bürger in einer Zivilgesellschaft zu reflektieren und persönliche Antworten darauf zu geben: unmittelbar, an einem konkreten historischen Ort – sich selbst und für andere sichtbar.

Kooperationspartner

Le centre européen du résistant déporté (CERD)/ Das Europäische Zentrum des Deportierten Widerstandskämpfers:

Öffnungszeiten:

Vom 1. Februar bis 15. April und vom 1. Oktober bis 30. Dezember: täglich von 9:00 bis 17:30 Uhr.

Vom 16. April bis 30. September: täglich von 9:00 bis 18.30 Uhr.

Die wenigen Ausnahmen von dieser Regel werden auf der Website veröffentlicht: www.struthof.fr/visiter/visiteurs-individuels (struthof.fr)

Die Kasse schließt jeweils eine Stunde früher.

Der Eintritt für Schulklassen ist frei. Eine Buchung des Besuchs ist obligatorisch und erfolgt online unter: www.struthof.fr/de/buchung/reservation-scolaires (struthof.fr)

Das historische Gebäude der Gaskammer ist täglich geöffnet von 9:30 bis 17:30 Uhr. Allerdings behält sich das Museum aus organisatorischen Gründen flexible Öffnungszeiten vor und teilt seine Entscheidungen erst kurzfristig vor Ort und in der Regel nicht online mit. Ein Einlass in das Gebäude ist darum nicht garantiert und nur bedingt planbar.

Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg: Die Landeszentrale unterstützt Seminarkurse zur Ausbildung für „Schülerguides“ mit Workshopangeboten: www.gedenkstaetten-bw.de/jugendarbeit-gedenk (gedenkstaetten-bw.de)

Regierungspräsidien des Landes Baden-Württemberg: Die Gedenkstättenfahrten nach Natzweiler-Struthof werden über Fördermittel des Landesjugendplan finanziell unterstützt. Die Anträge sind grundsätzlich so frühzeitig zu stellen, dass vor Antritt der Fahrt ein Förderungsbescheid ausgestellt werden kann. Ansprechpartner und Antragsformulare unter:
www.gedenkstaetten-bw.de/foerderung-fahrten (gedenkstaetten-bw.de)

Historischer Hintergrund: Das KZ-Natzweiler-Struthof im Kontext der NS-Rassenpolitik

Noch immer verbinden der baden-württembergische Bildungsplan (2016) und damit auch zugelassene Schulbücher sowohl für die Jahrgangsstufe 9 („Der Nationalsozialismus und der Zweite Weltkrieg“) als auch für die Oberstufe den Nationalsozialismus syntaktisch-additiv mit dem Zweiten Weltkrieg. Chronologisch zugespitzt endet in dieser Denkfigur der „Nationalsozialismus“ am 1. September 1939 und der „Zweite Weltkrieg“ übernimmt. Der „Nationalsozialismus“ ist demnach zuständig für die „Zerstörung der Demokratie“, der „Zweite Weltkrieg“ für „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. Mit dieser Arbeitsteilung bleibt das große Potenzial ungenutzt, aus europäischer Perspektive die Politik des nationalsozialistischen Deutschlands als eine verflochtene, sich wechselseitig bedingende und radikalisierende Einheit zu denken – und zwar mit dem Verbrechenskomplex der NS-Rassenpolitik nach innen und außen als sachlogisch integrative Klammer.

Im Mittelpunkt dieser in sich verflochtenen NS-Rassen­politik stand der Zweite Weltkrieg und mit ihm die Ermor­dung von annährend sechs Millionen Jüdinnen und Juden, Hunderttausender Roma und Sinti sowie behinderter und kranker Menschen aus Europa, die als „lebensunwertes Leben“ der NS-Rassenpolitik zum Opfer fielen. In den von Deutschland besetzten Gebieten richtete sich der rassistische Vernichtungswille der Nationalsozialisten gegen die Bevöl­kerungen in Osteuropa, insbesondere gegen die Menschen in Polen und der Sowjetunion. Die Gesamtzahl der im deutschen Machtbereich außerhalb von Kampfhandlungen umgekommenen Zivilisten schätzt die Forschung auf zwölf bis 14 Millionen. Die Mehrzahl von ihnen haben die Nationalsozialisten und ihre Kollaborateure gezielt erschossen, erschlagen, vergast, ausgehungert oder durch Zwangsarbeiten und katastrophale Hygienebedingun­gen in den Tod getrieben. Die wenigsten von ihnen stammten aus Deutschland.

NS-Konzentrationslager waren zentrale Erfahrungsorte dieser extremen Gewalttätigkeit. Sie waren Schnittstellen eines Verbrechenskomplexes, an denen Rassismus, Vernichtungskrieg und Holocaust brennpunktartig zusammenliefen und ihre massenmörderische Dynamik entfalteten. Die an diesen historischen Orten gemachten und geteilten Erfahrungen entgrenzter Menschenfeindlichkeit durch eine extrem gewalttätige Gesellschaft führen an den Kern des Nationalsozialismus: den Willen zum Massenord an Zivilisten. Wie stark die Akteure, die Strukturen und Prozesse des Verbrechenskomplexes NS-Rassenpolitik aufeinander bezogen waren und sich wechselseitig radikalisierten, lässt sich an der Geschichte der Konzentrationslager im Allgemeinen und an der Geschichte des KZ-Komplexes Natzweiler-Struthof im Besonderen zeigen.

Schülerinnen und Schüler des Seminarkurses „Schülerguides“ nähern sich der Geschichte des KZ-Komplexes Natzweiler-Struthof vom Kern des Nationalsozialismus. Die Konzentration liegt auf den Zusammenhängen, die innerhalb des Verbrechenskomplexes NS-Rassenpolitik am Beispiel von Natzweiler-Struthof erkennbar werden. Ein besonderer Schwerpunkt bildet dabei das Jahr 1942, dem Jahr, in dem Natzweiler-Struthof im März in den „Normalbetrieb“ schaltete und im August zum „Einweisungslager“ wurde. In diesem Jahr verdichteten sich die wechselseitig miteinander verflochtenen und sich radikalisierenden Verbindungslinien, die von den NS-Konzentrationslagern zu den Verbrechenskomplexen Rassismus, Vernichtungskrieg, NS-„Euthanasie“, Holocaust, Genozid an den europäischen Sinti und Roma und NS-Zwangsarbeitssystem führen – auch in Natzweiler-Struthof.

Themenfelder für die Auswahl einer Quelle für Seminararbeiten zum Stammlager, z.B.

  • Dimensionen der „Entmenschlichung“:

    • Hunger

    • Hygiene

    • Arbeit

    • Terror/Angst

  • „Nacht- und Nebel“-Häftlinge

  • Täter

  • Diensthunde

  • Fluchtversuche

  • Überleben

  • Solidarität unter Häftlingen

  • Forschungsverbrechen

    • Pseudo-medizinische Versuche

    • Jüdische Skelettsammlung

    • Sinti und Roma in Natzweiler-Struthof

    • Reichsuniversität Straßburg

  • Hinrichtungen

  • Steinbruch und Kriegswirtschaft

  • Ende des Stammlagers

  • Juristische Aufarbeitung und Strafverfolgung

  • Historische Spurensuche: Hans-Joachim Lang und „Die Namen der Nummern“

  • Erinnerungskulturen

    • Gedenkstätten, Ausstellungen, Reden

    • Gedichte, Romane, Comic, Kunst

    • Soziale Medien

Jahresplanung

  • Bis zu den Herbstferien: „Nie wieder“ „so etwas“? – Inwiefern kann ich selbst zu einer Kultur des Erinnerns an den Nationalsozialismus beitragen?

  • Bis zu den Fastnachtsferien: Übungen zu fachlich kompetentem und digital souveränem Arbeiten an ausgewählten Themenschwerpunkten zur Geschichte des Konzentrationslagers Natzweiler-Struthof.

  • Bis zu den Osterferien: Ausbildung zum „Schülerguide“ – Meine Führung durch die KZ-Gedenkstätte gestalten und verantworten.

  • Bis zu den Pfingstferien: Wozu KZ-Gedenkstätten? Bedeutung und Funktion von Gedenkstätten in einer Kultur des Erinnerns an den Nationalsozialismus in der bundesdeutschen Migrationsgesellschaft.

Methodik

Der Seminarkurs macht Schülerinnen und Schülern drei konkrete Angebote: Erstens können sie als „Schülerguides“ ihre Führung durch die KZ-Gedenkstätte Natzweiler-Struthof selbst gestalten und verantworten. Zweitens können sie mit einer schriftlichen Dokumentation mit anschließendem Kolloquium ihre Studierfähigkeit stärken. Drittens können sie, sofern bestanden, den Seminarkurs als eine der beiden von ihnen abzulegenden mündlichen Prüfungen im Abitur anrechnen und damit eine Teilleistung des Abiturs um ein Jahr vorziehen.

Für die Schülerinnen und Schüler stellt die Gedenkstättenführung am historischen Ort eine „besondere Lernleistung“ dar. Sie übernehmen am Exkursionstag die pädagogische Verantwortung für eine Gruppe von sechs bis acht Schülerinnen und Schülern aus der 10. Klasse, die sie fünf Stunden lang über das gesamte Gelände der KZ-Gedenkstätte (Steinbruch, Lagergelände, Gaskammer) begleiten. Das Droste-Hülshoff-Gymnasium Freiburg besucht die KZ-Gedenkstätte jährlich mit ihren 10., nicht mit ihren 9. Klassen. Die „Schülerguides“ bereiten die Schülerinnen und Schüler der 10. Klassen eine Woche vor der Führung in einer Unterrichtsstunde (45 min.) auf die Exkursion vor. Nach der Exkursion besprechen sie in den 10. Klassen den Gedenkstättenbesuch nach und holen sich per Fragebogen ein Feedback ein.

Die Gruppengröße für die „Schülerguides“ wird greifbar gehalten, indem die vier 10. Klassen an der Schule auf zwei unterschiedliche Termine aufgeteilt werden. Diese Aufteilung bietet sich insbesondere für kleinere Seminarkurse an. Sie ist nicht zwingend, hat aber neben einer überschaubaren Gruppengröße einen weiteren Vorteil: Die doppelte Terminierung gibt den „Schülerguides“ die Möglichkeit, ihre Führungen zweimal zu halten. Zum einen können sie dann ihre eigenen Erfahrungen aus der ersten Führung sowie Schülerfeedback in der Zwischenzeit reflektieren und mögliche Impulse daraus in die zweite integrieren. Zum anderen erfahren sie eine doppelte Wertschätzung ihrer Arbeitsergebnisse sowohl durch unterschiedliche Lehrkräfte als auch durch verschiedene Schülergruppen.

Damit diese anspruchsvolle Herausforderung zu einer fruchtbaren Erfahrung für alle Beteiligten wird, bereiten sich die „Schülerguides“ fachlich und methodisch intensiv darauf vor. Die Vorbereitungszeit beträgt etwa sieben Monate und deckt den Zeitraum von September bis April ab. Als Auftakt zur fachlichen Einarbeitung begehen die Schülerinnen und Schüler unmittelbar zu Beginn des Seminarkurses einen Tag lang die KZ-Gedenkstätte im Elsass aus der Perspektive eines Guides, entwickeln vor Ort eigene Fragen, sammeln Ideen für thematische Schwerpunkte und suchen Quellen zu deren Veranschaulichung. Die Materialgrundlage zur weiteren thematischen Einarbeitung und Materialauswahl ist die umfangreiche Handreichung der Landeszentrale (s. Linkliste) für politische Bildung zum Gedenkstättenbesuch in Natzweiler-Struthof. Der Fachunterricht vertieft ausgewählte Aspekte zum KZ-Komplex Natzweiler-Struthof und bindet diese Aspekte dabei an konkrete Quellen und Darstellungstexte.

Zum anderen werden die „Schülerguides“ methodisch gründlich geschult. Unterstützt werden sie dabei durch die Lehrkraft im regulären Fachunterricht sowie in einem zweitägigen Workshop von erfahrenen Coaches der Landeszentrale zur politischen Bildung („Jugendguide werden“ und Fortbildungsprogramm „Grundmodul der Schülerguide-Ausbildung“). Arbeitsschwerpunkte liegen dabei auf adressaten- und funktionsgerechten Präsentationstechniken auf offenem und witterungsabhängigem Gelände (z.B. Sprache, Artikulation, Tempo, Pausen, Präparierung von Materialien, situationsbedingte Flexibilität), Gruppeninteraktion und -aktivierung, Umgang mit Emotionen und Störungen, Reduktion und „Roten Fäden“, dem Verhältnis zwischen „Information“ und „Emotion“, den Ebenen „Abstraktion“ und „Anschaulichkeit“ sowie – damit einhergehend – Auswahl und Funktion von Materialien. Besonders geübt werden der Einstieg zu Beginn der Führung und der Schluss am Ende der Führung, aber auch Übergänge zwischen den Stationen sowie Möglichkeiten für Einstieg und Schluss an spezifischen Stationen wie beispielsweise der Gaskammer oder dem Krematorium.

Parallel zur Ausbildung zum „Schülerguide“ erfolgt im Seminarkurs eine Einführung in wissenschaftliches Arbeiten. Dieses zweite Kursmodul stärkt die Schülerinnen und Schüler darin, eine eigene schriftliche Dokumentation im Rahmen des Seminarkurses zu verfassen. Diese schriftliche Dokumentation hat zwei Funktionen. Zum einen stärkt sie die Schülerinnen und Schüler in ihrem historischen Denken, dessen Erträge plausibel begründet und nachvollziehbar belegt werden müssen. Zum anderen bietet sie Raum für Reflexion über die eigene Rolle als „Schülerguide“ in einer Kultur des Erinnerns und damit auch über die Funktion von KZ-Gedenkstätten heute.

In der schriftlichen Dokumentation bearbeiten die Schülerinnen und Schüler zunächst eine Quelle ihrer Wahl zur Geschichte des KZ-Komplexes Natzweiler-Struthof. Dazu entwickeln und begründen sie vorab ihre leitende Fragestellung, zu deren Beantwortung die gewählte Quelle einen spezifischen Beitrag leistet. Bei der Bearbeitung der Quelle im Rahmen der schriftlichen Dokumentation wenden sie die Methoden zur Quellenanalyse an, wie sie in Klausuren im Basisfach und im Leistungskurs Geschichte gängige Praxis sind. Sie recherchieren also die Angaben zum Autor/der Autorin, zu Erscheinungsort und -zeitpunkt, zu den Spezifika der Quellengattung, zum Anlass und zum Adressaten. Sie arbeiten strukturiert die Inhalte sowie die Perspektive und Intention des Verfassers/der Verfasserin heraus. Sie erklären ihre Quelle vor ihrem historischen Hintergrund, den sie mithilfe von Darstellungstexten und weiteren Quellen zur Differenzierung der Perspektiven vertiefen. Abschließend beurteilen sie den Quellenwert ihres historischen Dokuments in einem Fazit, in dem sie aufzeigen, was sie als Forschende anhand dieser Quelle mit Blick auf die Geschichte des Lagers leisten und was sie nicht leisten können. Dieser Teil der schriftlichen Dokumentation stärkt die Schülerinnen und Schüler in ihrem historischen Denken und fördert ihre Studierfähigkeit.

Der Fachunterricht unterstützt sie bei dieser Aufgabe, indem er den fachlich kompetenten Umgang mit Quellen und Darstellungen einübt. Um die digitale Souveränität der Schülerinnen und Schüler zu stärken, gehört dazu mittlerweile auch der reflektierte und funktionale Umgang mit KI-Tools und der sie in Gang setzenden Prompts. Mit Blick auf die Förderung der Studierfähigkeit ist das Einüben von „academic honesty“ ein weiteres zentrales Anliegen des Seminarkurses: Aussagen in der schriftlichen Dokumentation sind nachvollziehbar zu belegen. Daher besuchen Schülerinnen und Schüler die Universitätsbibliothek in Freiburg, recherchieren nach Literatur zu ihren Themenstellungen, zitieren form- und funktionsgerecht, setzen überprüfbare Fußnoten und erstellen ein Verzeichnis zu der von ihnen verwendeten Literatur.

Im zweiten Teil der schriftlichen Dokumentation stellen die Schülerinnen und Schüler den „roten Faden“ ihrer KZ-Gedenkstättenführung dar, begründen exemplarisch Entscheidungen, die sie getroffen haben, und erläutern Einsichten, die sie aus den Erfahrungen mit ihren beiden Führungen gewonnen haben. In einem abschließenden Gesamtfazit bewerten sie ihre eigene Rolle als „Schülerguide“ und die Funktion von KZ-Gedenkstätten in einer Kultur des Erinnerns an Erfahrungen extremer Gewalt und Menschenfeindlichkeit im Nationalsozialismus.

Bewertung

Die Gesamtnote des Seminarkurses wird folgendermaßen gebildet:

  1. Für das erste und zweite Kurshalbjahr gibt es zusammen eine Note. Diese wird wiederum gebildet aus Teilleistungen aus dem ersten Kurshalbjahr (mündliche Mitarbeit, schriftliche Teilleistungen) und aus den Noten der beiden Führungen im zweiten Kurshalbjahr. Die Gewichtung der beiden Kurshalbjahre beträgt 40%:60%.

  2. Die Führungen auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte werden durch die begleitenden Lehrkräfte an ausgewählten Stationen beobachtet und benotet. Jeder „Schülerguide“ wird auf diese Weise im Verlauf des Tages von jeweils vier verschiedenen Lehrkräften und damit an jeweils vier verschiedenen Stationen beobachtet und benotet. Lehrkräfte tauschen sich anschließend über ihre Beobachtungen und Notenvorschläge aus. Bei zwei Führungen erweitern sich die gemeinsam geteilten Eindrücke und Notenvorschläge entsprechend.

  3. Die schriftliche Dokumentation wird kriteriengestützt benotet. Die Kriterien sind den Schülerinnen und Schülern zuvor bekannt. Sie erhalten sowohl eine Checkliste als auch den noch unausgefüllten Korrekturbogen. Darüber hinaus werden vorab konkrete Beispiele von gelungenen und weniger gelungenen Seminarkursarbeiten aus vorangegangenen Jahrgängen besprochen.

  4. Der Seminarkurs „Schülerguides“ schließt mit einem 20-minütigen Kolloquium. Hier stellen die Schülerinnen und Schüler unter Abiturbedingungen in Anwesenheit der Schulleitung in freier Rede 10 Minuten lang zentrale Ergebnisse ihrer Quellenanalyse zu einem historischen Dokument aus Natzweiler-Struthof vor. Im Anschluss daran erfolgt ein 10-minütiges Prüfungsgespräch, das von den präsentierten Ergebnissen ausgeht, diese punktuell vertieft und den Blick richtet auf die erinnerungskulturelle Rolle und Funktion von „Schülerguides“ an KZ-Gedenkstätten in der bundesdeutschen Migrationsgesellschaft.

Fazit

Gedenkstätten sind historische Orte. „Historisch“ bedeutet: Die Orte unterliegen dem historischen Wandel, sie verändern sich. Der historische Ort Natzweiler-Struthof hat sich im Verlauf seiner Geschichte wiederholt verändert: von einem Bauernhof mit angeschlossenem Hotel mitten in einem beliebten Ski- und Rodelgebiet zu einem deutschen Konzentrationslager auf de-facto annektiertem französischem Boden, von einem Konzentrationslager zu einem großen KZ-Komplex mit Außenlagern diesseits und jenseits des Rheins, von einem deutschen KZ-Komplex zu einem französischen Internierungslager für französische und deutsche Kollaborateure, von einem französischen Internierungslager schließlich zu einer zentralen nationalen Gedenkstätte Frankreichs im Grenzgebiet zu Deutschland. Gedenkstätten sind Produkte und Institutionen der Geschichtskultur. Im französisch-deutschen Grenzgebiet ist diese mehrstimmig, mit Blick auf Erinnerungen von Inhaftierten und deren Angehörigen aus 30 Ländern vielstimmig.

„Historisch“ bedeutet: Nicht nur der Ort ändert seine Form und Funktion, sondern auch die Wahrnehmungen der Menschen auf diesen Ort und ihr Umgang mit diesem Ort. „Schülerguides“ bringen ihre eigenen Wahrnehmungen, ihr eigenes Vorwissen, ihre eigenen Vorstellungen und Haltungen mit an diesen Ort und werden ihrerseits mit ihren eigenen Beiträgen zur Geschichtskultur selbst Akteure des Wandels.

„Historisch“ bedeutet: Der Ort ist ein Erfahrungsort. Geschichte ohne Erfahrungen und ihre Deutungen gibt es nicht. Geschichte ist immer Erfahrungsgeschichte in dem Sinne, dass sie sich sowohl auf vielfältige menschliche Erfahrungen bezieht als auch auf deren Wahrnehmung, Deutung und Weitergabe. In diesem Sinne ist das Konzentrationslager Natzweiler-Struthof ein Ort der Erfahrungen mit Unfreiheit, ein Ort der Erfahrungen mit entgrenzter Menschenfeindlichkeit einer extrem gewalttätigen Gesellschaft, ein Ort der Erfahrungen mit rassistischer Umwertung von Recht und Moral, ein Ort der Erfahrungen mit radikaler Verachtung von Mensch und Würde – und zugleich ein Ort der Erfahrungen mit menschlicher Selbstbehauptung in Würde.

Erinnerungen sind immer Erinnerungen an Erfahrungen. Erinnerungen aktivieren Erfahrungen. In diesem Sinne sind Gedenkstätten „historische“ Orte, an denen sich Menschen an Erfahrungen erinnern, eigene oder die anderer. Menschen, die sich gemeinsam erinnern, erinnern sich aber nicht nur an die jeweiligen Erfahrungen, sondern begründen im gemeinsamen Erinnern ihre Vorstellungen davon, wie sie miteinander in ihrer Gesellschaft heute und morgen zusammenleben wollen, welche Werte ihnen dabei wichtig sind. Gemeinsame Erinnerungen und gemeinsame Werte gehen dabei Hand in Hand. Werte sind ohne Erfahrungen und ihre Deutungen nicht denkbar. Darin besteht die Bedeutung von Orientierung durch Geschichte am „historischen“ Ort. Hier und heute.

Links

Landeszentrale zur politischen Bildung Baden-Württemberg: Geschichte des KZ-Komplexes Natzweiler (gedenkstaetten-bw.de)

Le centre européen du résistant déporté (CERD)/ Das Europäische Zentrum des Deportierten Widerstandskämpfers (struthof.fr)

Transnationales Portal der Gedenkstätten im ehemaligen KZ-Komplex Natzweiler (natzweiler.eu)

 (alle Links geöffnet am 21.09.2024)


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Herausgeber: Landesbildungsserver Baden-Württemberg
Quelle: https://www.schule-bw.de

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