Die aha-Rechnungen der Ägypter

Aha, ein Siebtel hinzu, 19 ist geworden.


Mit diesem Satz wurde nachweislich eine der ersten von Menschen gelösten Algebraaufgaben entdeckt und zwar auf einem
3600 Jahre alten Papyrus. Eine solche "Wortgleichung" stellt die einfachste Form einer Textgleichung dar.

Vor etwa einem Jahrhundert geriet dieser Papyrus in die Hände westlicher Gelehrter; ein schottischer Antiquitätenhändler
namens Henry Rhind, der wegen seiner Erkrankung an Tuberkulose den Winter in Ägypten verbrachte, kaufte ihn 1858 in
einem Laden in Luxor. Ihm zu Ehren erhielt dieses uralte Dokument den Namen "Rhind Papyrus", und zusammen mit dem
"Moskauer Papyrus" bildet es die Hauptquelle unserer Kenntnisse über die ägyptische Mathematik.

Der Papyrus Rhind, der unter anderem das "Rechenbuch des Ahmes" enthält, eines der ältesten Rechenbücher der Welt, nennt sich selbst "Anweisung zur Erkenntnis aller dunklen Dinge". Dieses Schriftstück ist für uns von besonderem Interesse, da es den Beweis enthält, dass sich bereits vor 1700 v. Chr. Menschen über die Arithmetik hinaus der Algebra zugewandt hatten.

Beim oben genannten mathematischen Problem fällt zunächst das Wörtchen "aha" auf.
Es tritt in über einem Dutzend von Aufgaben in verschiedenen Papyri als technischer Begriff für die unbekannte Größe auf, die wir in unserer algebraischen Symbolschrift seit Descartes mit x bezeichnen.
"Aha" bezeichnet einfach "einen Haufen" oder "eine Menge".

Die "aha-Rechnungen" des Papyrus Rhind weisen eine Technik auf zur Lösung linearer Gleichungen, die sogenannte "Methode des falschen Ansatzes", die ich hier in Anlehnung an Resnikoff / Wells am Beispiel des Rhind-Problems Nr. 26 darlegen möchte (1) :

Aufgabe:

Aha, ein Viertel dazu, 15 ist geworden.
In unseren algebraischen Symbolen: Bild image7VU.JPG

Lösung:

Annahme ("falscher Lösungsansatz"):
(So gewählt, da x dann einfach zu rechnen ist.)
x = 4
Die linke Seite der Gleichung lautet dann:

und das ist gleich 5,
was ein Drittel der Zahl auf der rechten Seite des Gleichheitszeichens ist.
Deshalb multipliziert man den falschen Ansatz 4 mit 3 und erhält

Bild imageRRJ.JPG

Ergebnis:

Damit stimmen beide Seiten der Gleichung überein, und das Problem ist gelöst.
x = 12

Da die Ägypter diese Methode nicht immer anwandten, können wir davon ausgehen, dass sie nicht erkannt hatten, dass sie in
allen Fällen zum richtigen Ergebnis führt.

  • Zwei Drittel davon hinzugefügt, und ein Drittel (dieser Summe) weggenommen, bleibt 10.


Auch das nächste Beispiel, das Rhind-Problem Nr. 28, zeigt, dass den Ägyptern eine systematische Methode fehlte, um lineare Gleichungen mit einer Unbekannten zu lösen:

Aufgabe:

Zwei Drittel davon hinzugefügt, und ein Drittel (dieser Summe) weggenommen, bleibt 10.
In unseren algebraischen Symbolen:
Bild imageUEJ.JPG

Der übrige Text der hieroglyphischen Schrift beschreibt einen Lösungsweg dieses Problems, der aus einer Reihe arithmetischer Rechnungen besteht. Dabei wird deutlich, dass eine durch Probieren oder Erraten gefundene Zahl als Lösung der Aufgabe zwar nachgewiesen werden kann, jedoch enthält das Dokument keine Vorschrift zur Lösung weiterer Gleichungen derselben Art.

Zusammenfassend kann man sagen, daß die "aha-Rechnungen" den Höhepunkt der ägyptischen Algebra bilden.
Es sind im Wesentlichen zwei Gründe anzuführen, weshalb ein Fortschritt aufgehalten wurde:

  • Das umständliche nicht-positionelle Bezeichnungssystem sowie das Fehlen eines systematischen Verfahrens zur Darstellung unbekannter Größen machten es sehr schwer, komplexere Probleme auszudrücken.
  • Eine unüberwindbare Hürde bildete die Rechentechnik der Ägypter die derart kompliziert und sehr schlecht übertragbar war auf Probleme, deren gesuchte Größen keine ganzen Zahlen waren.

(1) Resnikoff, H.L.; Wells, R.O.Jr.: Mathematik im Wandel der Kulturen, Braunschweig, Wiesbaden 1983, 44ff.