Wie schnell sind Elektronen in Drähten?
1) Wagst Du einen Tipp?
Was denkst Du, wie schnell bewegen sich Elektronen in normalen
(Kupfer-) Leitungsdrähten?
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2) Irgendwo muss man anfangen...
Ein Draht wird von einem Strom der Stärke I durchflossen. |
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Wir lösen nach v auf: |
Für eine Zahlenrechnung ergeben sich einige Probleme:
- Welche Leiterlänge s sollen wir annehmen?
- Welche Stromstärke I sollen wir einsetzen?
- Wie groß ist die Zahl der Elektronen N im Leiterstück?
(Hängt sicher auch von der Länge s ab)
Wir ersetzen N - die Zahl der Elektronen im Drahtstück - durch die
Elektronendichte n.
Es sieht zunächst so aus, als ob das die Sache nur komplizierter macht,
wir haben so aber ein Problem weniger, wie wir gleich sehen werden:
also folgt für N:
Wir setzen (2) in (1) ein:
In dieser Form kommt es nicht mehr auf die Länge des Leiterstücks an.
Zur besseren Anschauung können wir uns folgendes
Modell denken, das wir aus dem Alltag kennen.
Der Leiter entspricht einer Straße und die Elektronen den Autos.
Der "Durchsatz" einer Straße ist die Zahl der Fahrzeuge, die
z.B. je Minute die Straße passieren können, dies entspricht der
Verkehrsstromstärke und damit der elektrischen Stromstärke I.
(Dabei erfolgt Straßenverkehr - leider! - immer zweidimensional, wir
können einen Stau nicht überfliegen).
- Wenn mehr Fahrzeuge pro Minute eine bestimmte Stelle passieren sollen (I),
dann müssen die Fahrzeuge schneller fahren (v).
- Hat man zwei Fahrspuren (entspricht A), dann kommen bei gleicher
Geschwindigkeit auch doppelt so viele Fahrzeuge pro Zeiteinheit an der Stelle
vorbei.
- Die Fahrzeugdichte (Fahrzeuge je km²) entspricht n.
Ist die Fahrzeugdichte n groß (in der Stadt), so folgt, dass die Geschwindigkeit v klein wird.
Ist die Fahrzeugdichte n klein (außerhalb), so kann schneller gefahren werden.
Auf einer leeren Autobahn (kleine Verkehrsdichte) kann schneller gefahren werden als auf einer vollen Autobahn.
3) Wie groß ist die Dichte n der freien Elektronen?
Wir nehmen der Einfachheit halber an, dass jedes Kupferatom ein freies Elektron zur Leitung bereitstellt.
3.1) Wie viele Atome / freie Elektronen sind in einem Kupferdraht?
Die Chemie hilft uns ein wenig weiter:
Kupfer hat die Atommasse 64 (vgl. Periodensystem der
Elemente).
Dies bedeutet, dass 1 Mol Kupfer die Masse 64 g hat.
In einem Mol befinden sich aber immer 6,02 * 1023
Atome (Avogadro-Zahl).
Damit befinden sich in 64 g Kupfer also 6,02 * 1023 Atome /
freie Elektronen.
3.2) Welches Volumen nehmen 64 g Kupfer ein?
Hier erinnern wir uns an den Anfangsunterricht in Physik: Masse m und Volumen V sind über die Dichte ρ verknüpft. Es gilt:
Löst man nach V auf, so ergibt sich mit der Dichte von Kupfer (ρ = 8,9 g / cm3):
Dies bedeutet nun, dass in 7,17 cm3Kupfer also 6,02 * 1023 freie Elektronen sind.
3.3) Damit können wir die Elektronendichte n berechnen...
3.4) ... und die Bewegungsgeschwindigkeit der Elektronen abschätzen:
Nehmen wir einen typischen Draht an (Querschnittsfläche 1 mm2) und eine typische Stromstärke (1 A) so ergibt sich als Abschätzung der Bewegungsgeschwindigkeit von Elektronen in Drähten:
Na, war Dein Tipp in etwa richtig?! |
4) Warum wir die Geschwindigkeit vielleicht falsch einschätzen:
4.1) Starten die Elektronen erst, wenn ich den Schalter schließe?
Manche denken, dass die Elektronen erst vom Minuspol der Quelle "loslaufen", wenn man einen Schalter schließt. Dann müsste es doch - bei 1/10 mm je Sekunde - einige Zeit dauern, bis eine Lampe aufleuchtet, die Lampe leuchtet aber doch sofort!
Der Denkfehler liegt darin, dass sich ja schon viele freie Elektronen im Draht befinden. Zwar sind sie bei normalen Temperaturen nicht in Ruhe, sondern bewegen sich regellos in alle Raumrichtungen, ein gerichteter Strom entsteht dadurch aber nicht. Erst wenn der Schalter geschlossen wird, baut sich im Leiter ein elektrisches Feld auf und die Elektronen bewegen sich dadurch mit der oben hergeleiteten Geschwindigkeit in Richtung Pluspol der Quelle.
Stelle Dir als (vereinfachtes) Modell einem langen Stau vieler Autos
vor einer Baustellenampel vor:
Zeigt die Ampel "rot" (Schalter offen) stehen die Autos. Schaltet die
Ampel auf "grün" (Schalter geschlossen) dann fährt die
ganze Schlange langsam an. An einem Punkt 50 m vor der Ampel (entspricht der
Lampe) sind dann auch sofort Autos, die langsam vorbeifahren. Welche Autos dies
sind, ist dabei gleichgültig.
4.2) Wann hört mich mein Partner in Hamburg, den ich von Stuttgart aus anrufe?
Überlegt man so wie oben, dass die Elektronen erst dann "loslaufen", wenn gesprochen wird, dann würden sie für die 535 km lange Strecke Stuttgart-Hamburg folgende Zeit benötigen:
t = s / v = 535 km / 1*10-4 m/s = 535000 m / 1*10-4 m/s = 5,35*109 s = 1,48*106 h = 6,13*104 d (Tage) = 169,6 a (Jahre)
Dies würde mein Telefonpartner nie erleben, er wäre inzwischen garantiert gestorben!
Aber auch hier sind die Elektronen ja schon überall in der Leitung!
Wir müssen unterscheiden zwischen der
Geschwindigkeit der Elektronen und der Geschwindigkeit des
Signals. Dass die beiden Dinge nicht unbedingt etwas miteinander zu tun haben,
könnte man sich an folgendem Modell
überlegen: (Das Foto von Udo Leuschner zeigt die Menschenkette beim Protest gegen die Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen 1983 nahe Göppingen.) |
4.3) Bei der Schallleitung ist es auch so.
Ein weiteres ähnliches Beispiel ist die Schallleitung in Luft. Dabei bewegt sich auch kein Luftmolekül vom Sprecher zum Ohr des Zuhörers, sondern die Luftmoleküle geraten in Schwingungen und geben die Schwingung an die nächsten Luftmoleküle weiter. So kann sich die Schallinformation ausbreiten, ohne dass sich die Luftmoleküle dabei sehr bewegen.
Vergleiche dazu auch die Simulation auf der Seite Ausbreitung einer mechanischen Längswelle
5) Aufgaben zur Vertiefung:
(1)
Edwin Hall verwendete zum Nachweis des von ihm entdeckten Effekts ein
dünnes Goldband.
- War das Material eine gute Wahl?
- Ermittle die Driftgeschwindigkeit von Elektronen in Gold für die gleichen Parameter (Stromstärke I = 1 A , Fläche A = 1 mm2).
(2)
In einem Halbleiterplättchen (d = 5 mm, Dicke b = 1
mm) misst man eine Hallspannung von 100 mV. Die Stärke des Stroms durch
das Plättchen beträgt 50 mA und es wirkt ein Magnetfeld der
Stärke 0,2 T senkrecht zum Plättchen.
- Wie groß ist die Driftgeschwindigkeit v der Elektronen im Halbleitermaterial?
- Wie groß ist die Dichte n der freien Elektronen?
- Vergleiche Deine Ergebnisse mit den Werten für Kupfer.
Klaus-Dieter Grüninger, Landesbildungsserver
Grafiken: Grüninger, Fotos: Leuschner(1), Grüninger(1)