Bilingualer Physik-Kurs in der Oberstufe des Gymnasiums

bilingualer Physikkurs

Seit nunmehr 3 Jahren in Folge gibt es in Heidenheim einen bilingualen Physik-Kurs (deutsch-englisch) in den Klassen 12 und 13. Der erste Kurs war noch ein 5-stündiger Leistungskurs, der inzwischen Abitur gemacht hat. Derzeit laufen zwei 4-stündige Kurse in der Jahrgangstufe 12 bzw. 13. Inzwischen liegen gewachsene Erfahrungen vor, wie man einen solchen bilingualen Kurs organisieren und im Detail gestalten kann. Die Schüler haben eine Homepage veröffentlicht ( www.physik-bilingual.de), wo sie aus Ihrer Sicht Informationen und Erfahrungen mitteilen.

Warum überhaupt einen bilingualen Physikkurs?

Aus Sicht der Physik: War die Weltsprache der Physik im ersten Drittel des vorigen Jahrhunderts noch Deutsch, so ist dies mit der Auswanderung der bedeutendsten Physiker in die USA vor dem 2. Weltkrieg Englisch geworden. In den letzen Jahrzehnten ist durch den intensiven internationalen Austausch von Wissenschaftlern und durch die Globalisierung der Industrie Englisch zu einer Plattform der internationalen Verständigung auch in Deutschland selbst geworden. Kaum eine wissenschaftliche Veröffentlichung von Rang ist nicht in Englisch verfasst und in den meisten Abteilungen an den Unis und in größeren Industriebetrieben ist Englisch als Zweitsprache selbstverständlich. Zudem werden immer mehr Studienkurse jetzt schon und vermehrt in Zukunft als „Master“-Studiengänge konzipiert, die Teile in Englisch beinhalten können und für Auslandssemester weit bessere Voraussetzungen bieten. Man muss sich vor diesem Hintergrund die Frage stellen, ob nicht die Sprache Englisch in der Ober stufe des Gymnasiums weit mehr als bisher ihre praktische Anwendung in anderen Fächern finden sollte und dies gerade auch in den Naturwissenschaften.

Aus Sicht der Fremdsprache: Damit das Lernen einer lebendigen Sprache nicht abstrakt bleibt, sollten die Schüler sie in lebensnahen Situationen anwenden. In einem physikalischen Zusammenhang, unter Verwendung fremdsprachiger Originaltexte, kommen wir diesem Ziel näher als im reinen Sprachunterricht.

Wie organisiert man solch einen Kurs?

In Heidenheim haben wir vier Gymnasien. Es zeigt sich, dass ein Gymnasium allein zu wenig interessierte und leistungsbereite Schüler hat, um einen bilingualen Kurs zu füllen. Daher war von vornherein eine Kooperation zwischen den Schulen angestrebt. Diese hat sich inzwischen etabliert. Parallel dazu soll immer auch ein deutschsprachiger Kurs laufen. Der bilinguale Physikkurs wird inzwischen an allen Schulen zur Wahl angeboten und im Stundenplan auf die „Koop-Schiene“ gesetzt - das sind 4 festliegende Wochenstunden, die für alle Kooperationskurse zwischen den Gymnasien im Wochenplan fixiert sind. Rechtzeitig vor den Kurswahlen findet eine Informationsveranstaltung für Eltern und Schüler statt.

Es soll nicht verschwiegen werden, dass es auch zu Problemen in der Zusammenarbeit zwischen den Schulen kommen kann; manchmal scheinen es stundenplantechnische Dinge zu sein, die eine Kooperation unmöglich erscheinen lassen, manchmal kann es auch vorkommen, dass ein Fachlehrer verständlicherweise seine motivierten und leistungsbereiten Schüler nur ungern an die Nachbarschule verlieren will. Es wird also durchaus ein bis drei Jahre dauern, bis sich solch ein Angebot in der Schullandschaft der Stadt etablieren kann. Eine ganz wesentlicher Unterstützung kann man durch Berichte in der örtlichen Presse bekommen, denn viele Eltern sind sehr an einer guten Ausbildung Ihrer Kinder interessiert und fragen gegebenenfalls an der Schule nach.

Was geschieht im bilingualen Kurs?

Die erste Frage wird immer sein, welche Teile unterrichte ich als Lehrer weiterhin in Deutsch, und was kann oder will ich in Englisch tun ?

Die Erfahrungen haben deutlich gezeigt, dass das rein rezeptive Aufnehmen der Fremdsprache (Lehrer hält Vortrag, Schüler lesen Übungsaufgaben oder Arbeitsanleitungen) keine Probleme im Sprachverstehen bereitet. Ganz im Gegenteil; die Aufmerksamkeit der Schüler steigt, der Lehrer spricht langsamer und deutlicher. Umgekehrt ist es mit der aktiven Schülerbeteiligung im Unterricht, also beim Beantworten von Fragen im übliche Fragen-entwickelnden Unterricht etwa. Hier wirkt die Fremdsprache als zusätzliche Barriere. Schüler tendieren dazu schnell wieder ins Deutsche abzudriften.

Inzwischen hat sich aus unseren Erfahrungen folgendes Unterrichtsprinzip herausgebildet:

  • Die fachlich etwas leichteren Inhalte Kärtchen (im Umfang etwa 50% des Stoffs) werden auf Englisch unterrichtet, bisweilen und zu auch als reiner Lehrervortrag („input“). Dabei gilt grundsätzlich , dass in dieser Stunde durchgehend Englisch gesprochen wird und nicht zwischen den Sprachen umgeschaltet wird (es gilt „no German please“). Bei Bedarf wird vorab eine Liste mit Fachwörtern ausgeteilt oder als Plakat an die Wand gehängt. An den Lehrervortrag schließt sich eine Schüler-Arbeitsphase an, wobei ein englischsprachiger Text ( Aufgabenblatt oder Teamauftrag) ausgeteilt wird. Es ist illusorisch anzunehmen, dass die Schüler in dieser Phase englisch miteinander sprechen.

 

  • In größeren Zeitabständen findet ein „Kärtchenspiel“ statt. Die Schüler ziehen aus einem Stapel eine Karte, auf der eine kurze physikalische Frage steht, die Sie dann in einem Kurzvortrag von nur wenigen Minuten beantworten sollen (vor der Klasse stehend in Englisch). Fragen können sich daran anschließen. Solche Kärtchen sind in den USA käuflich und dienen dort wohl zur Prüfungsvorbereitung. Es erscheint allerdings sinnvoller, sich solche Kärtchen dem Lernfortschritt angepasst selbst herzustellen. presentation Vor allem zu Beginn des Kurses bietet sich diese Methode an um das „Eis zu brechen“ und die Schüler aus der Passivität herauszubringen. Später fehlt einem leider allzu oft die Zeit.

 

  • Einmal im Jahr muss ein Schüler eine experimentelle „presentation“ halten. Dies kann dann auch eine „GFS“ (gleichwertige Feststellung von Schülerleistungen) sein. Das Thema der presentation wird am Anfang des Schuljahres festgelegt. Ihr Thema ist im Unterrichtsgang integriert und meist ein Bestandteil des Pflichtstoffs. Die Schüler tragen deshalb auch die Verantwortung für einen gut ausgearbeiteten und verständlichen Vortrag mit schriftlicher Zusammenfassung. Der Lehrer bessert hier nicht nach! Bislang wurden alle presentations sehr ernsthaft und sorgfältig ausgeführt.

 

  • Im „practical” (Praktikum) arbeiten die Schüler im Zweierteam mittels einer englischsprachigen Versuchsanleitung. Ganz wesentlich dabei ist eine ausführliche Ausarbeitung (protocol), die auch größere Textbeiträge enthalten muss und nicht nur Tabellen und Rechnungen. practical Im Verlauf eines Schuljahres, so zeigen die Erfahrungen, entwickeln sich die Ausarbeitungen von reinen formalen Messwert-Dokumentationen hin zu kleinen wissenschaftlichen Arbeiten, bei denen auch oft über das Gefragte hinaus recherchiert wird. Hier ist natürlich eine schnelle Rückgabe der korrigierten Ausarbeitungen zusammen mit Vorschlägen für Verbesserungen unbedingt notwendig.

Mit den hier genannten 4 Punkten haben wir eine (vorläufige) Form gefunden, wie wir den Gedanken „bilingual“ in der Praxis umsetzen wollen. Dabei sind Hörverständnis, Lesen von Fachtexten, Vortrag in der Fremdsprache und Verfassen eigener Texte beinhaltet. Mit Ausnahme des Lehrervortrags liegt dabei der Schwerpunkt auf der Eigentätigkeit des Schülers.

Sicherlich wären weitere Aktivitäten wünschenswert und würden die Ernsthaftigkeit unterstreichen, wie etwa die Teilnahme ausländischer Schüler (es ist angedacht, dass Schüler mit „advanced physics course“ der Partnerschule aus den USA für einen Monat den Physikunterricht hier vor Ort besuchen und gemeinsam mit den deutschen Schülern ein praktisches Projekt (zusätzlich) durchführen. Oder man denke an die Einladung eines ausländischen Dozenten für ein spezielles Thema. Bislang stehen solchen Ideen allerdings der hohe organisatorische Aufwand und die knappe Zeit von Lehrer (und Schüler) entgegen.

Kann man sich als Physiklehrer einen bilingualen Kurs zutrauen? Voraussetzungen.

Sicherlich muss man nicht Englisch studiert haben. Der Anspruch weder an Schüler noch an den Lehrer ist es, im Englischen fehlerfrei und perfekt zu sein. Ein Student, ein Wissenschaftler oder ein Ingenieur wird auch nicht die Zeit haben, vorher die Sprache zu studieren, hier heißt das Motto: „learning by doing“. Wer also als Lehrer Alltagsenglisch einigermaßen fließend schreiben und sprechen kann, bringt in diesem Punkt die nötigen Voraussetzungen mit. Vor allem aber gehört eine Portion Bereitschaft und Freude im Ausprobieren neuer Wege dazu, natürlich auch Bereitschaft zur Mehrarbeit, denn gerade in den ersten Jahren muss man sich als Lehrer den Fachwortschatz aufbauen und zahlreiche Arbeitsblätter, Übungsaufgaben und Versuchsanleitungen texten. Solches Engagement wird dann meist indirekt belohnt, denn man erschafft sich als Lehrer hier etwas Besonderes, Individuelles, das in dem oftmals zermürbenden Alltagsgeschäft eine ganz persönliche positive Selbstindentifikation schafft.

Hilfsmittel? Bücher?

Englischsprachige Bücher zur Physik gibt es natürlich zahlreiche. Leider passen Sie im Anspruch und Inhalt überhaupt nicht zu unserer Oberstufe. Solche Bücher sind wichtig für den Lehrer, um die Benutzung der Fachworte im Kontext zu erfahren. Für Schüler sind sie weniger brauchbar. Unsere Suche nach einem guten und bezahlbaren Buch geht aber dennoch weiter. In der Zwischenzeit füllen zahlreiche Arbeitsblätter und Skripte diese Lücke. Weit wichtiger ist ein gutes Lexikon, sowohl was die Umgangsprache als auch Fachwörter angeht. Für flüssiges Arbeiten am Computer hat sich Pons Lexiface ( www.pons.de) sehr gut bewährt; eine Quelle für viele Fachwörter ist www.leo.org. Von Langenscheidt gibt es für den Lehrer das „Fachwörterbuch Physik“ Deutsch-Englisch (über 1700 Seiten).

Das Thema Notengebung

Ich muss hier mit „leider“ beginnen. Es ist für uns verbindlich vorgeschrieben, dass die Klausuren in Deutsch stattzufinden haben – Gleichheitsgrundsatz? Ebenso sind wir an das Deutsche Zentralabitur gebunden. Die Schüler selbst würden in Ihrer großen Mehrheit gern auch englische Aufgaben bearbeiten – sie sind es ja von den Übungsblättern längst gewohnt. Und in letzter Konsequenz wäre beispielsweise auch eine der beiden zentralen Abituraufgaben in Englisch denkbar. Bislang stehen dem aber unüberwindliche Schwierigkeiten entgegen, die wir hier als „Einzelkämpfer“ nicht umbiegen können. Darunter leidet die Nachhaltigkeit des Anspruchs wirklich bilingual zu sein, denn dies muss in vollem Umfang auch in der Notengebung Berücksichtigung finden.

Ausweg? Um dennoch wenigsten teilweise das bilinguale Profil in die Leistungsbeurteilung einfließen zu lassen, werden die verpflichtenden „presentations“ und die abzugebenden „protocols“ wie eine weitere Klausur in die Semesternote eingerechnet. Selbstverständlich sind diese „Spielregeln“ den Teilnehmern von vornherein bekannt. Bei entsprechendem Engagement können die „protocols“ und oft auch die „presentations“ den Durchschnitt heben, vor allem bei Schülern, die bei den schriftlichen Aufgaben schlecht abschneiden. 15-Punkte-Schüler tun sich dagegen eher schwer ihren schriftlichen Durchschnitt zu halten. Es gab bislang keine Fälle, wo sich Schüler vor der „presentation“ gedrückt haben ; die „protocols“ sind in der Regel nach 1-2 Wochen abgegeben.

Zum Schluss

Der Versuch bilingual zu unterrichten kann durchaus als erfolgreich bezeichnet werden und das gilt für Lehrer und Schüler gleichermaßen. Es wäre aber sehr zu wünschen, wenn es mehrere „Mitstreiter“ gäbe und nicht zuletzt Unterstützung seitens der Schulverwaltung. Vielleicht ist die Zeit noch nicht reif, aber die Zukunft wird mit Sicherheit solche Unterrichtsprojekte in größerer Zahl sehen.

Wolf-Peter Hirlinger