490-450 v. Chr. Diskuswerfer des Myron
Myron gilt als Vollender der Frühklassik (490-450 v Chr.). Uns liegt eine Figur des Künstlers als römische Kopie des Diskuswerfers vor (Nationalmuseum Rom). Sie besticht durch den gewagten Versuch, einen bewegten männlichen Athleten darzustellen. Im Original war die Figur aus Bronze.
![]() |
Trotz der Allansichtigkeit der Figur gibt es eine Hauptansicht. Aus dieser Perspektive ist die Handlung voll zu überblicken. Der Sportler schwingt federnd im Kniegelenk, sein Oberkörper ist nach vorn gebeugt und im rechten Winkel gegen die Hüftachse verdreht. Die rechte Hand hält den Diskus. Sie ist schwunghaft erhoben. Der Blick des Betrachters folgt dieser Bewegung. Der linke Arm scheint die Figur auszubalancieren. Gleichzeitig berührt der linke Fuß nur noch mit den Zehen den Boden.
Wir sehen in dieser Figur den Moment, in dem der ganze Körper kraftvoll gespannt ist. Förmlich ist der Körper in eine elastische Spirale eingerollt. Der kraftvolle Schwung des Wurfes wird vorbereitet.
Die Darstellung ist kompositionell sehr anspruchsvoll. Der Diskuswerfer des Myron möchte glaubhaft den Moment der höchsten Anspannung und Konzentration vor dem Diskuswurf darstellen. Die Drehbewegung ordnet sich um einer Achse an. So kann der Spiralschwung dargestellt werden. Der Schwung beginnt im linken Fuß und der linken Wade. Er leitet sich weiter über die linke Hand, den Unter- und Oberarm und die Schulterpartie. Dieser Schwung endet dann in der gehobenen Hand mit Diskusscheibe. Die Anspannung wird durch die meisterhaft herausgearbeiteten Muskelstränge gesteigert.
Diese Arbeit steht für die radikale Überwindung der archaischen Gebundenheit der Körper (vgl. Kouros). Die Figur befreit sich aus dem in sich ruhenden Zustand und entwickelt sich zur dynamischen Bewegtheit, einem Wechselspiel von Anspannung und Entspannung.
Diese künstlerische Veränderung ist im Zusammenhang mit einer gewandelten Geisteshaltung zu verstehen.
Die archaische Skulptur wurde ohne Zuhilfenahme eines Models aus dem Quader herausgeschlagen. Die große Mehrzahl der erhaltenen archaischen Skulpturen lässt sich einzelnen Kunstschulen zuordnen. Mit der Herausbildung des klassischen Stils verändert sich die Situation. Eine bewegte Figur in Ponderation, kann nicht einfach ohne vorherige Studien aus dem Block herausgeschlagen werden. Dabei müssen bestimmte Achsen und Verkürzungen im Modell berücksichtigt werden. Auch die Statik erfordert ein planvolles Vorgehen.
Nicht nur die Perserkriege prägten die griechische Gesellschaft. Vielmehr entwickelte sich aus den partikularstaatlich geprägten Stadtstaaten immer mehr die Idee eines gemeinschaftlichen griechischen nationalen Bewusstseins. Dieses Bewusstsein verstärkt sich in den Generationen nach Marathon und Salamis. Beispielsweise hielt die attische Mittelschicht die Erinnerungen an die Siege gegen das Perserreich in der kollektiven Erinnerung Athens. Die Bedrohung durch die Perser beschleunigte auch die Demokratisierung in Athen. Dieser politische Prozess der Demokratisierung ist aber nicht der Grund für den stilistischen Wandel in der Kunst. Vielmehr ist die künstlerische Entwicklung auf die sich gewandelten gesellschaftlichen Verhältnisse zurückzuführen. Es gibt einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen künstlerischen Erscheinungsformen und gesellschaftlichen Vorgängen. Die künstlerische Reife und Emanzipation der Kunst ist ohne die ökonomische militärische Stärke der attischen Mittelschicht nicht vorstellbar. Diese attische Mittelschicht wurde gestärkt und prägte somit auch die künstlerische Entwicklung. Die attischen Künstler waren dadurch maßgeblich an der Entwicklung des klassischen Stils beteiligt.
Literatur:
- Detlef Lotze (2017): Griechische Geschichte: Von den Anfängen bis zum Hellenismus. C.H.Beck Verlag
- Ernst Hövelborn (2017): Verkörperungen. Griechische Antike - Antony Gormley. BDK Fachverband für Kunstpädagogik. Landesverband Baden-Württemberg
- Margot Michaelis (2002): Plastik - Objekt - Installation. Ernst Klett Schulbuchverlag. Leipzig Stuttgart Düsseldorf
- Hans Baier (1988): Stilkunde. Seemann Verlag. Leipzig
- Gerhard Zinserling (1977): Abriß der griechischen und römischen Kunst. Reclam Verlag. Leipzig