Roya-Tal: Hilfe für Flüchtlinge illegal?
"Migrants : la vallée qui fait de la désobéissance" titelte Libération im November 2016. Einwohner von Bergdörfern um das Flüsschen la Roya (Alpes maritimes) an der französisch-italienischen Grenze helfen illegal eingereisten Flüchtlingen, ihre Flucht fortzusetzen; s. Bilder und Radiobericht von Gaële Joly bei Radio France (3:55), erläuternde Fotostrecke bei Le Jour du Seigneur, Bsp. des Sudanesen Mamadou. In ihrem Tal ist Hilfe für Fremde eine historische Tradition, sie nehmen auch das Risiko in Kauf, dafür ins Gefängnis gehen zu müssen, wie Gérard Bonnet oder die Rechtsanwältin Françoise Cotta.
So auch der Landwirt Cédric Herrou, laut Le Point der "Robin Hood der Migranten": Er richtete "einfach aus Menschlichkeit" ein privates Aufnahmezentrum ein, das nach drei Tagen von der Gendarmerie abgerissen wurde; Bericht auf Deutsch. Er wurde als "Schleuser" und "Delinquent" bezeichnet und angeklagt "pour aide à l'entrée et à la circulation des personnes en situation irrégulière". Der Staatsanwalt beantragte acht Monate Gefängnis auf Bewährung. Herrous Mutter schrieb einen offenen Brief an den Staatsanwalt (Bericht). Auch andere Einwohner des Roya-Tals wurden angeklagt. Die Leser der Zeitung Nice-Matin wählten Herrou zum "Azuréen de l'année" (also der Côte d'Azur); Bericht auf Deutsch. Worauf der Präsident des Departementsrats, Éric Ciotti, in einem empörten Beitrag Herrou als unverantwortlich und als Gefahr für Frankreich bezeichnete. Herrou betonte: "Je ne regrette rien et je continuerai". Was er umgehend in die Tat umsetzte und so erneut für einen Tag in Polizeigewahrsam kam. Er wurde am 10. Februar 2017 wegen Hilfe bei illegaler Einwanderung zu 3000 € Geldstrafe auf Bewährung verurteilt (d.h., er muss sie nur zahlen, falls er erneut einschlägig verurteilt würde). In einer Stellumgnahme Herrous zum Urteil besteht er darauf, dass eigentlich der Staat das tun müsste, was er tut, z. B. Minderjährige schützen.
Auch anderswo wird Solidarität mit Flüchtlingen stark erschwert. Um die erneute Enstehung eines wilden Camps am Eurotunnel zu verhindern, verbot die Bürgermeisterin von Calais de facto, die hauptsächlich Minderjährigen, die nach England wollen, mit Nahrung zu versorgen; auch duschen durften sie beim Secours catholique nur unter strengen Auflagen.
Wie Polizei und Justiz mit den Bewohnern des Roya-Tals umgehen, ist für den Blogger David Nakache und für die Ligue des droits de l'Homme (LdH) ein "insupportable harcèlement", für die Zeitung L'Humanité eine "chasse aux « justes »". Nach dem Journalisten Raphaël Krafft retten sie Frankreichs Ehre; Krafft half selbst zwei Flüchtlingen beim Überschreiten der Grenze; Buch "Le passeur" und Radiosendung bei France Culture (0:54). Eine große Zahl Intellektueller ruft angesichts des "kurzsichtigen" Verhaltens der Behörden gegenüber den sehr langfristigen Problemen zu zivilem Ungehorsam und zur Verteidigung der Werte der Republik und der Menschlichkeit auf.
Eine Gruppe von Wissenschaftlern verfasste einen offenen Brief: "Non à la criminalisation de la solidarité !" Eigentlich gilt das "délit de solidarité" nur noch eingeschränkt. Dazu ein Artikel von Le Monde, ein Interview mit dem Rechtsanwalt Stéphane Maugendre und ein Manifest für seine Abschaffung von den "Délinquants solidaires", einem Zusammenschluss zahlreicher Verbände und Gruppen; in dem Manifest Non au délit de solidarité. Oui aux passeurs d'humanité ! erklären sich über 500 Personen des Kulturlebens dazu bereit, "gesetzwidrig" wie Herrou zu handeln. Aufgaben mit Lösungsvorschlägen dazu s. in der Unterrichtseinheit. A-t-on le droit d'aider les migrants ?, will 1jour1actu in einem kurzen animierten Video Kindern erklären.
Ganz grundsätzlich urteilen Fabienne Brugère und Guillaume Le Blanc: "Cette politique de la peur marque la fin de l'hospitalité envers les migrants", der über Jahrhunderte geltende hohe Wert der Gastfreundschaft scheine von der Ablehnung der "Fremden" abgelöst zu werden.
Unterrichtseinheit
Flüchtlinge in Frankreich: Eux c'est nous.
Herausgeber: Landesbildungsserver Baden-Württemberg
Quelle: https://www.schule-bw.de
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