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Historischer Vergleich: Römischer Limes und Große Mauer

Über die Methode des Vergleichs werden Ähnlichkeiten und Unterschiede bewusst. Beim Vergleich in historischer Dimension handelt es sich um ein eigenes historisches Erkenntnisverfahren: Im Anblick des Fremden wird das Eigene umso deutlicher. Mit dieser Methode sollen zwei antike Grenzbefestigungen untersucht und beurteilt werden: der römische Limes (genau: der obergermanisch-rätische Limes) und die chinesische Mauer (genau: die Han-Mauer aus dem 2. Jh. n. Chr. im Nordwesten).

Der obergermanisch-rätische Limes Überreste der Han-Mauer aus dem 2. Jh. n. Chr.
Der obergermanisch-rätische Limes und Überreste der Han-Mauer aus dem 2. Jh. n. Chr.
Quelle: Bundesfinanzministerium, Gestaltung: Annegret Ehmke; © Andreas C. Lehmann, Eschborn

Beide Grenzbefestigungen weisen Parallelen auf: Sie dienten zur Sicherung gegen als Barbaren identifizierte Fremde. In beiden Fälle kam man auf die Idee, eine Mauer bzw. Palisade zu bauen, die in regelmäßigen Abständen von Wachtürmen kontrolliert wurde. In beiden Fällen wurden Soldaten und Zivilbevölkerung an den Grenzen angesiedelt und sowohl in China als auch in der germanischen Provinz spielte der Handel eine wichtige Rolle.

Limes (bei Mainhardt) Wachturm an der Han-Mauer
Zwei Wachtürme: am Limes (bei Mainhardt) und an der Han-Mauer
Quelle: Gemeinde Mainhardt Minneapolis Institute of Arts

Dennoch gibt es bei dem Umgang mit den hinter der Grenzbefestigung lebenden Fremden enorme Unterschiede. Auch die Prozesse der Romanisierung bzw. Sinisierung liefen unterschiedlich ab, mit unterschiedlichem Erfolg und mit unterschiedlichen Zielgruppen.
Gerade angesichts der feinen Unterschiede bei Ähnlichkeiten auf den ersten Blick wird die Methode des Vergleichs fruchtbar und kann mit Hilfe des tertium comparationis auf ein allgemeines Phänomen menschlichen Zusammenlebens (z.B. eine aktuelle Grenzsituation) transferiert werden. Das unten vorgeschlagene Modul bietet einen differenzierten Zugang zum Thema und verschiedene Impulse bzw. Vertiefungsmöglichkeiten, aus denen die Lehrkräfte bzw. die Lernenden auswählen können.
Dieses globalgeschichtliche Modul kann zudem noch um einen weiteren Vergleich des römischen mit dem chinesischen Kaisertum in der Antike ergänzt werden.


Mögliches Unterrichtsarrangement

Alle folgenden Arbeitsblätter als zip-Datei (2,4 MB)

1. Einstieg: AB Zwei Wachtürme
Bewusstmachung der Unterschiede, aber auch von Ähnlichkeiten
Könnten die Wachtürme derselben Grenzbefestigung entstammen? Welche Funktion hätte wohl diese Grenzbefestigung?
Auflösung: Die beiden Wachtürme entstammen etwa derselben Zeit, sie stehen aber 6500 km voneinander entfernt an zwei großen, bis heute bekannten Grenzbefestigungen.

2. Erarbeitung anhand von Kartenmaterial: AB Kartenvergleich

  • Reichsgrenze in Rom: oft Flussgrenze, an bestimmten Stellen aber künstliche, gegen die „Natur“ (Topographie) gezogene Grenze
  • Chinesischer Mauerverlauf der Han-Mauer: eher Anpassung ans Gelände, keine Grenze nach Westen (Tibet!)

Die Chinesische Mauer: Karte
Die Chinesische Mauer: Karte Wikimedia Commons by Maximilian Dörrbecker (Chumwa) CC BY-SA 2.5

3. Leitfragen:

  • Warum wurde diese Art der Grenzziehung und -verteidigung nötig?
  • Gibt es mehr Unterschiede oder Ähnlichkeiten bei der Grenze?
  • Wie lebten die Menschen an der Peripherie/der Grenze?
  • Worauf muss man beim Vergleichen achten?
  • Welche Kriterien/Vergleichspunkte würden sich für eine derartige Untersuchung anbieten?

4. Vergleichsphase 1:
a. Lupe: AB Grenzanlagen

  • Wie sieht die Grenzanlage aus und wie hat sie funktioniert? - Untersuche im Vergleich.
  • Ein Schüler bearbeitet den Limes, einer die Mauer. Sobald zwei Schüler aus den unterschiedlichen Gruppen fertig sind, setzen sie sich zusammen, informieren sich gegenseitig und suchen Vergleichskriterien.
  • Vergleichskriterien:
    1. Mauerbau/Konstruktion (feste Mauer, Palisaden, Wall, Graben - Aus Lehm gestampfter Wall, meist am Hang, teilweise mit Steinen)
    2. Kommunikation (Grenzweg, Straßen, Feuer als Signal - Feuer als Signal, Botenläufer, Handelsstraße parallel zur Mauer)
    3. Infrastruktur (Anbindung über Straßennetz ans Hinterland, Kleinkastelle, vici, villae rusticae - Forts und größere Kommandanturen, Kolonistenansiedlungen, Militärverwaltung in Dunhuang)
    4. Verteidigung (Vorfeldverteidigung/Strafexpeditionen, Beziehungen zu Stämmen jenseits der Grenze zur Einflussnahme - Vorfeldverteidigung, Strafexpeditionen und Geschenke, schnelle Alarmierung der Nordarmee über Leuchtfeuer)

b. Vertiefung/Differenzierung des Lerntempoduetts: AB Tore
Caracalla-Tor in Dalkingen als Repräsentationstor - Jadetor als zentrale Zollstation


5. Vergleichsphase 2: Ursprung und Funktion der Grenze

6. Auswertung und Fazit:

  • Sammeln auf der Grundlage bisheriger Erarbeitung
  • problemorientierte Zuspitzung: Reichsgrenze als integrative Kontaktzone oder als abschottender Schutzwall?

7. Vertiefung 1: Kontroverse - Die Mauer als defensives oder aggressives Instrument?

  • Der amerikanische Historiker Arthur Waldron
    „Jede nomadische Gesellschaft hat einen Mangel an Getreide und versucht diesen durch Handel oder öfter durch Raubzüge in Bereiche der Ackerbau betreibenden Bevölkerung zu beheben. Das erklärt die stetigen Überfälle der Xiongnu auf chinesische Bauern zur Han-Zeit und die Notwendigkeit einer Grenzmauer.“
  • Der neuseeländische Historiker Nicola Di Cosmo:
    „Erst die Wegnahme der Weidegebiete und später die dauerhafte Ansiedlung von chinesischen Kolonisten hat die nomadischen Reitervölker zu wiederholten Angriffen auf chinesische Dörfer und Städte veranlasst. Der Bau der Grenzmauer war kein Akt der Verteidigung, sondern der offensiven Landnahme mit dem Ziel einer chinesischen Besiedlung des Gebietes.“

Positionen zusammengefasst nach: Nicola di Cosmo, Ancient China and its Enemies. Cambridge 2002, S. 156

Transfer auf den Limes: Ein aggressiver oder ein friedenserhaltender Akt?

Rekonstruktion des Limes
Rekonstruktion des Limes
© Iris C. Schmidt 1920x1080 Pixel

8. Vertiefung 2: Zwei Prozesse im Vergleich und ihre Erfolge: Romanisierung vs. Sinisierung

9. Reflexion 1 - Aktualisierung: Welche Grenze brauchen wir/wollen wir heute für Europa?

10. Reflexion 2 - Methode: Historischer Vergleich

  • Waren die Kriterien/Vergleichspunkte sinnvoll? Müsste man andere Kriterien in Betracht ziehen? Welche?
  • Ist ein derartiger Vergleich überhaupt sinnvoll?
  • Inwiefern haben wir den Limes und den Begriff Romanisierung jetzt besser verstanden?

Die Han-Mauer im Abendlicht
Die Han-Mauer im Abendlicht
© Andreas C. Lehmann, Eschborn


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