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Buch des Monats Juni 2011

In diesem Monat empfehlen wir folgendes Buch:

Wolfgang Herrndorf: Tschik
(ab 14 Jahren)

Wolfgang Herrndorf: Tschik

Rowohlt, 2010, 8.Auflage
ISBN 978-3871347108
256 Seiten

Altersempfehlung: ab 14 Jahren

Dieser Jugendroman wird ganz sicher ein Klassiker werden. Darauf verweisen die vielen Rezensionen, die "Tschick" seit seinem Erscheinen vor einem halben Jahr begeistert feiern und den Autor Wolfgang Herrndorf in eine Reihe stellen mit Mark Twain und J. D. Salinger.
Die temporeiche, freche Sommergeschichte nimmt ihren Ausgang in Berlin-Mahrzahn, wo Maik Klingenberg, der vierzehnjährige Ich-Erzähler, ein ziemlich langweiliges Leben als Schüler und Sohn aus gutem Hause führt. In der Schule als "Psycho" und "Schlaftablette" von den Klassenkameraden unbeachtet, sind auch seine Eltern im Wesentlichen mit sich beschäftigt. Hinter der Fassade des Wohlstands verbirgt sich ein Arrangement aus Lüge und stiller Übereinkunft: Die humorvolle, aber alkoholkranke Mutter deklariert ihre regelmäßigen Entziehungskuren als Urlaube auf der Beautyfarm, die der Vater, ein Immobilienmakler vor dem Bankrott, dazu benutzt, sich mit seiner blutjungen Sekretärin zu vergnügen. Keiner kümmert sich um Maik, der sich das Desinteresse seiner Umgebung damit erklärt, dass er eben ein uninteressanter Typ, ein Langweiler und ein Feigling sei. In die fade Alltagswelt im wohlsituierten Wohnviertel platzt eines Morgens gegen Schuljahresende ein heruntergekommener fünfzehnjähriger Russlanddeutscher aus der Plattenbausiedlung nebenan und flegelt fortan stumm und trotzig auf seiner Schulbank herum. Der asoziale Neuzugang, von dem man munkelt, er habe wahrscheinlich eine kriminelle Vergangenheit und solle unter den Wohlerzogenen resozialisiert werden, bleibt geheimnisvoll und von der Klasse ignoriert.
So kommt es, dass Maik und der coole Russe mit dem komplizierten Namen Andrej Tschichatschow, kurz Tschick, die einzigen sind, die nicht zur Sommerparty der schönen, ein wenig hochnäsigen Tatjana geladen werden. Die beiden Außenseiter lernen sich kennen, als sie, vom Ferienbeginn in die Langeweile und Verlassenheit getrieben, ziellos im Viertel herumstromern. Sie treffen sich zunächst bei Maik in der riesigen elternlosen Villa zu gemeinsamen Ego-Shooter-Spielen, bis Tschick auf die Idee kommt, gemeinsam in Urlaub zu fahren. Mit einer geklauten Schrottkiste, einem alten Lada, starten die beiden ihre Reise durch den Osten Deutschlands mit dem Ziel, in der Walachei Tschicks Verwandte zu besuchen. Die beiden Minderjährigen wissen nicht nur nicht, wo die Walachei liegt und in welche Richtung sie eigentlich fahren müssen, sie schätzen auch die Strafbarkeit ihres Vorhabens falsch ein, was für jede Menge Spannung sorgt. Denn hinter dem Gestus scheinbarer Abgeklärtheit, mit der sie den Unwägbarkeiten souverän entgegenzutreten versuchen, scheint die liebenswerte Naivität auf, mit der sie sich in ihr Abenteuer begeben. Dies führt zu der mitreißenden Komik, die den Grundton der Geschichte angibt, aber nicht allein bestimmt.
So gibt es neben der temporeichen Action und den fetzigen Dialogen im zeitgemäßen Jargon berührende Momente von tiefem Ernst, die in eine zarte Sprache gefasst sind und den Ton der Jugendlichen ebenso treffen wie der Slang. Und hinter der lässig zur Schau getragenen Coolness wird die Verletzlichkeit der beiden Helden umso deutlicher, was diese eigensinnigen Charaktere überzeugend lebendig macht.
Der Roman erzählt nicht einfach von pubertären Fluchten: Maik und Tschick machen Urlaub von den Menschen, die sowieso keinen Urlaub mit ihnen machen wollen. Sie haben jeden Grund zu der Annahme, dass die Welt schlecht und den Menschen nicht zu trauen ist. Auf ihrer wilden Reise durch das fremde Ostdeutschland eröffnet sich ihnen auf einmal die Gelegenheit, Ehrlichkeit und Freundschaft zu erfahren, wirklichen Mut beweisen zu können und auf Menschen zu treffen, die eben nicht schlecht sind, denen man vertrauen darf und für die es sich lohnt einzustehen. Wolfgang Herrndorf gelingt es wie nur wenigen, das Schwere leicht zu machen und in die am Ende hereinbrechende Wirklichkeit das helle Licht wahrer Freundschaft leuchten zu lassen.
Den Roman gibt es auch als Hörbuch, vortrefflich gelesen von Hanno Koffler, der den Ernst hinter dem lässigen Gestus der beiden Jungen genau trifft.

ubh (Arbeitskreis Lesen)


 



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