Sprachlich heterogene Lerngruppen sind gelebte Realität und stellen keine Ausnahme dar. Dennoch bleibt es für viele Schulen eine Herausforderung, im Unterricht damit umzugehen. Das Bestreben alle Schülerinnen und Schüler gleich zu behandeln, auch wenn sie unterschiedliche Lernvoraussetzungen und Bedürfnisse haben, kann ungewollt zu einer Bildungsbenachteiligung führen. Daraus geht zum einen die Forderung hervor, generell in jedem Regelunterricht allen Lernenden nach ihren Bedürfnissen sprachliche Bildung zu ermöglichen. Zum anderen verlangt die Lerngruppe der Mehrsprachigen, deren Ressourcen bisher meist noch als Defizit gesehen werden, eine interkulturelle Öffnung (Thema im Aufbau) des Regelunterrichts, die die Mehrsprachigkeit konstruktiv berücksichtigt und in die sprachliche Bildung mit einbezieht.
Will man Chancengleichheit gewährleisten, stellen sich also zuerst die Fragen:
- Wie kann man sprachliche Heterogenität in der Unterrichtsplanung berücksichtigen?
- Worauf muss man achten, damit alle Schülerinnen und Schüler einen Zugang zur Bildungssprache bekommen?
Im Nachfolgenden wird zur Beantwortung auf die Qualitätsmerkmale durchgängiger Sprachbildung nach dem FörMig-Kompetenzzentrum der Universität Hamburg (Gogolin 2011) Bezug genommen. Dem Konzept liegt die Annahme zugrunde, dass der „monolinguale Habitus“ in deutschen Schulen die dortige mehrsprachige Realität ignoriert und Bildungsbenachteiligung hervorruft. Es wird bei der durchgängigen Sprachbildung selbstverständlich davon ausgegangen, dass alle Sprachen gleich gültig sind und deswegen ihren Platz in der Schule haben. Das Register Bildungssprache, das den erfolgreichen Bildungserwerb bestimmt, ist nicht an eine Nationalsprache gebunden.
In den sechs Qualitätsmerkmalen geht es um das Tun der Lehrkräfte in ihrem Umgang mit Alltags- und Bildungssprache und Mehrsprachigkeit:
1. Planen und Gestalten von Unterricht mit sprachlichen Lernzielen
2. Diagnostik der sprachlichen Voraussetzungen und Entwicklung
3. Systematische Unterstützung in allen sprachlich relevanten Lernbereichen
4. Quantitative Erhöhung der Sprachanlässe
5. Individuelle sprachliche Differenzierung der Lernmaterialien
6. Evaluationsroutine der Lehrkräfte und Lernenden
Konsequenzen für die Praxis zusammengefasst
Links und Literatur zur Vertiefung
Bibliografische Nachweise
Qualitätsmerkmal 1: Planen und Gestalten von Unterricht mit sprachlichen Lernzielen
Die erste Hürde, die sich dabei stellt, besteht darin, dass sich Bildungssprache, die in der Schule Verwendung findet, elementar von alltagssprachlichem Handeln unterscheidet.
Deshalb erscheint es dringend geboten, im Unterricht diesen Unterschied explizit herauszustellen, um die alltagssprachlichen Kompetenzen, die die Lernenden schon mitbringen, hin zu einem bildungssprachlichen Register zu entwickeln.
Will man diese bildungssprachliche Kompetenz systematisch aufbauen, geht es bei der Unterrichtsplanung zunächst darum, genau zu überlegen, wann sinnvollerweise Alltagssprache zur Aneignung von Inhalten verwendet werden soll und kann und wann bildungssprachliche Äußerungen erwartet werden. Denn aus lernpsychologischer Sicht ist es für die Schülerinnen und Schüler durchaus hilfreich, wenn die Alltagssprache eine Brückenfunktion hin zur Bildungssprache übernimmt (vgl. Ott 2010). So ist es beispielsweise sinnvoll, dass die Lernenden in einer ersten thematischen Annäherung an ein Thema, in der es um die Aktivierung von Vorwissen geht, Alltagssprache verwenden. Auch bei einem naturwissenschaftlichen Experiment werden die Beobachtungen zunächst alltagssprachlich verhandelt. Dies gelingt beispielsweise gut innerhalb kooperativer Lernsettings.
Nach dieser Klärungsphase, wenn es um die Verschriftlichung eigener Hypothesen oder Ergebnisse geht, bedarf es des bildungssprachlichen Registers, das dann auf der Basis der alltagssprachlichen Äußerungen eingeführt wird, z. B. Fachvokabular oder eine grammatische Struktur wie „Je … desto …“, etc.
Dies setzt voraus, dass Lehrkräfte bei der Unterrichtsplanung das Unterrichtsmaterial auf seine sprachlichen Anforderungen hin prüfen. Die Lehrkraft muss sich auch darüber im Klaren sein, wo die Hürden in ihrer Fachsprache liegen. Aufgaben werden so gestellt, dass komplexe sprachliche Handlungen herausgefordert werden, die aber bewältigt werden können. Schülerinnen und Schüler brauchen eine Lernumgebung, die anspruchsvolle Aufgaben bereithält. Diese sollten einerseits Entwicklungsmöglichkeiten bieten, andererseits aber auch an das bestehende Kompetenzniveau der Lernenden angepasst sein. Deshalb ist Qualitätsmerkmal 2 notwendig.
Qualitätsmerkmal 2: Diagnostik der sprachlichen Voraussetzungen und Entwicklung
Um zu wissen, welche Herausforderungen man für Lernende bewusst planen muss und welche Strukturen sie schon können, werden ihr Sprachstand und ihre sprachlichen Ressourcen einbezogen, die wiederholt diagnostisch erhoben werden, um entsprechendes sprachliches Handeln möglichst in Zusammenarbeit mit allen Lehrkräften zu entwickeln. Hierfür stehen unterschiedliche Diagnostikinstrumente zur Verfügung.
Qualitätsmerkmal 3: Systematische Unterstützung in allen sprachlich relevanten Lernbereichen
In jedem Fach sind alle sprachlichen Kompetenzen gefordert, deshalb müssen sie dort auch entwickelt werden:
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Bedeutung der Operatoren und Aufgabenstellungen klären
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Kontinuierliche Wortschatzarbeit
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Lehrkräfte als Sprachvorbilder: Hören
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Lesekompetenz fördern
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mündliche Sprachkompetenz fördern
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Schreibkompetenz
Qualitätsmerkmal 4: Quantitative Erhöhung der Sprachanlässe
Damit die Lernenden ihre eigenen sprachlichen Kompetenzen beim Hören, Sprechen, Lesen und Schreiben aktiv erfahren und entwickeln, werden dafür viele Anlässe geschaffen, die auch die Kompetenzen in der Erstsprache miteinbeziehen. Deren Berücksichtigung im Lernprozess führen zu zahlreichen Anlässen z. B. Sprachvergleiche anzustellen. Das trägt sowohl bei mehrsprachigen als auch bei einsprachigen Lernenden zur Erhöhung des Sprachbewusstseins und der Reflexion des eigenen sprachlichen Handelns bei.
Qualitätsmerkmal 5: Individuelle sprachliche Differenzierung der Lernmaterialien
Eine Kernaufgabe der Lehrkraft ist diesbezüglich die Bereitstellung bildungssprachlicher Mittel und deren möglichst vielfältige Modellierung nach individuellen Bedürfnissen, damit Schülerinnen und Schüler viele unterschiedliche Möglichkeiten im Unterricht erhalten, um alltagssprachliche und bildungssprachliche Kompetenzen voneinander zu unterscheiden. So werden sie in die Lage versetzt, das bildungssprachliche Register bewusst und aktiv zu erwerben, anzuwenden und weiterzuentwickeln. Jeder Unterricht wird insofern zum Sprachunterricht, dass er die sprachliche und somit auch die mentale Durchdringung der Fachinhalte zum Thema macht. Inhalt und Sprache sind nicht getrennt.
So dienen dabei Denk- und Austauschphasen zur bewussten Verlangsamung des Unterrichtsgeschehens zugunsten eines vertieften Verständnisses. Weitere Unterstützungsmaßnahmen sind dem Scaffolding zuzuschreiben. Dabei planen Lehrkräfte für die Lernenden eine ihrem Lernstand angepasste Unterstützung, ein Scaffold, also ein Gerüst. Dieses bricht die Komplexität des Lernprozesses herunter auf ein individuell passendes Maß, auf angepasste Zwischenschritte zugunsten der Lernwirksamkeit (vgl. Krammer 2009, Kniffka 2010). Das sind z. B. Entlastungsmaterialien, die wiederum sehr vielfältig angelegt sein können und sich nicht nur auf den Einsatz von Tippkarten und Worterklärungen beschränken. Ebenso können hier Visualisierungstechniken zum Einsatz kommen oder Hilfsmaterialien erstellt werden, wie Satzmuster oder Wörterlisten, die auch mehrfach verwendet werden können (Makroscaffolding). Das ersetzt jedoch keineswegs die direkte, spontane Hilfestellung im Unterricht bei aufkommenden Schwierigkeiten, die nicht antizipiert werden können (Mikroscaffolding, vgl. Gibbons, 2002). Oft helfen hier schon langsames Sprechen, Wiederholungen von Regeln, kleine Erklärungen, der Einsatz von Murmelrunden zur Vergewisserung, alles verstanden zu haben oder Partnerarbeitsphasen.
Qualitätsmerkmal 6: Evaluationsroutine der Lehrkräfte und Lernenden
Neben der Unterstützung und Bewusstmachung sprachlicher Handlungen ist die Lehrkraft auch dafür zuständig, ein lernförderliches Klima in der Klasse zu schaffen, das es ermöglicht, sprachliche Handlungen auszuprobieren und sich als kompetent zu erleben. Dazu gehört auch die selbstverständliche Benutzung mehrerer Sprachen im Unterricht, die nicht tabuisiert werden, sondern vielmehr auch als Grundlage dienen, um sprachliche Handlungen auf dieser Hintergrundfolie zu reflektieren und sich sprachvergleichend Kenntnisse anzueignen (vgl. Rösch, 2011, S. 26)
Über diesen sprachlichen Aneignungs- und Vertiefungsprozess sollte immer wieder gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern reflektiert werden, um Fehler zu tatsächlichen Lernschritten zu nutzen und ein positives Selbstbild der Machbarkeit zu erhalten.
Konsequenzen für die Praxis zusammengefasst Oft helfen wenig spektakulär erscheinende, kontinuierliche Maßnahmen, wie sie von interviewten Jugendlichen aus Vorbereitungsklassen genannt wurden (Viele Sprachen – eine Schule /Kapitel 3.1, S. 21):
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Links und Literatur zur Vertiefung
Gogolin, I. et al. in Zusammenarbeit mit der FörMig-AG Durchgängige Sprachbildung (2011): Durchgängige Sprachbildung: Qualitätsmerkmale für den Unterricht. Waxmann. Münster.
Online abrufbar hier
Jeuk, S. (2014): Mehrsprachige Schüler fördern. In: Friedrich Jahresheft XXXII 2014.
Kniffka, G. (2010): Scaffolding.
Online abrufbar hier
Landesinstitut für Schulentwicklung Baden-Württemberg (2016): Viele Sprachen – eine Schule. Zielsprache Deutsch in allen Fächern der Sekundarstufe I. Stuttgart.
Ott, M. (2010): Zweitsprachler in der Sekundarstufe. In: Ahrenholz, B. / Oomen-Welke, I. (Hrsg): Deutsch als Zweitsprache. Schneider Hohengehren. Baltmannsweiler.
Rösch, H. (2008): Deutsch als Unterrichtssprache – eine Herausforderung für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund und deren Lehrkräfte. In: Deutsche Akademie für Sprachen und Dichtung (Hrsg.): Jahrbuch 2007. Wallstein. Göttingen.
Bibliografische Nachweise
Gibbons, P. (2002): Scaffolding language, scaffolding learning. Teaching Second Language Learners in the Mainstream Classroom. Heinemann. Portsmouth.
Gogolin, I. et al. in Zusammenarbeit mit der FörMig-AG Durchgängige Sprachbildung (2011): Durchgängige Sprachbildung: Qualitätsmerkmale für den Unterricht. Waxmann. Münster.
Online abrufbar hier
Jeuk, S. (2014): Mehrsprachige Schüler fördern. In: Friedrich Jahresheft XXXII 2014, S. 61-63.
Kniffka, G. (2010): Scaffolding.
Online abrufbar hier
Krammer, K. (2009): Individuelle Lernunterstützung in Schülerarbeitsphasen. Waxmann. Münster.
Landesinstitut für Schulentwicklung Baden-Württemberg (2016): Viele Sprachen – eine Schule. Zielsprache Deutsch in allen Fächern der Sekundarstufe I. Stuttgart.
Ott, M. (2010): Zweitsprachler in der Sekundarstufe. In: Ahrenholz, B. / Oomen-Welke, I. (Hrsg): Deutsch als Zweitsprache. Schneider Hohengehren. Baltmannsweiler, S. 189-199
Rösch, H. (2008): Deutsch als Unterrichtssprache – eine Herausforderung für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund und deren Lehrkräfte. In: Deutsche Akademie für Sprachen und Dichtung (Hrsg.): Jahrbuch 2007. Wallstein. Göttingen.