Interkulturelle Schulprojekte

Raum und Zeit für nachhaltige Identitätsarbeit

 

Lernen mit interkultureller Perspektive und Begegnungen unter Beachtung interkultureller Kommunikation finden im gesamten Schulalltag statt, nicht nur in der Sondersituation von Projekttagen und anderen außerunterrichtlichen und längerfristigen Formaten.

Diese bieten aber den Rahmen, die Begrenzungen des Schulalltags

  • zeitlich,
  • örtlich,
  • thematisch und von der
  • Zusammensetzung der Personen

zu durchbrechen und auszuweiten. Themen können bedarfsorientierter, individualisierter und im breiteren Kontext aufgegriffen werden. Ermöglicht werden zudem nachhaltig wirkende Perspektivwechsel, die sonst selten in einer Schulstunde bewältigt werden können.

Schulprojektwochen oder ein interkulturelles Jahresmotto etwa im Rahmen der kontinuierlichen Arbeit der SMV bieten mögliche Strukturen für schulweite Projekte mit vielen Beteiligten.

Zentral dabei ist, dass eine gute Vor- und Nachbereitung durch die Beteiligten erst eine Nachhaltigkeit des Erlebten und der Erkenntnisse herstellt. Auch wenn Projekte auf der Ebene von Klassen oder Arbeitsgemeinschaften durchgeführt werden, nimmt die Schulgemeinschaft Anteil, wenn sie öffentlich gemacht werden und Austausch und weitere Aktivitäten anregen. So können sie z.B. in die Schulentwicklung einfließen bzw. zu festen schulischen Institutionen führen wie etwa ein jahrelanges, fest etabliertes Eine-Welt-Projekt. Sie wirken auch wieder fächerübergreifend in den Unterricht zurück. Eine Liste mit Anregungen findet sich bei Seitz (2014, S. 34f. und 38ff).

 

Vertiefung durch mehr Zeit

Vertiefung durch Berücksichtigung der individuellen Bedarfe und Interessen mit Beispielen

Horizonterweiterung durch außerschulische Lernorte mit Beispielen

Horizonterweiterung durch Kooperation mit Personen außerhalb der Schule mit Beispielen

Bibliografische Nachweise

 

  

Vertiefung durch mehr Zeit

Interkulturelle Aktivitäten sind dann fruchtbar, wenn sie nicht nur konsumiert werden, sondern wenn sie Zeit bekommen zu wirken und reflektiert zu werden, d.h. wenn sie auch als inhaltliche Lernziele ins Bewusstsein kommen.

Interkulturelle Erfahrungen können Fremdheitsgefühle, Irritationen und Konflikte auslösen, die dann auch bearbeitet werden müssen. Da darf die Schulstunde nicht zu Ende sein. Es muss die Perspektive geben, dass man Ungelöstes noch bearbeitet. Es darf nicht passieren, dass die Gruppe u.U. mit größerem gegenseitigem Unverständnis und Ablehnung auseinandergeht und verharrt, als sie gekommen ist. In längerfristig angelegten, klassen- bzw. altersübergreifenden Projekten können „heiße Eisen“ sensibel geplant und metakognitiv bearbeitet werden (s. auch Interkulturelle Identitätsarbeit).

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Vertiefung durch Berücksichtigung der individuellen Bedarfe und Interessen

Über die überindividuellen, thematischen und methodischen Lernziele des Fachunterrichts hinaus kann in Projekten auf individuelle Fragestellungen und Positionen aller am Schulleben Beteiligter eingegangen werden. Viele in einer Schule vorhandenen kulturellen Herkünfte, Lebenswelten, und Prägungen sind nicht explizit Teil des Bildungsplans. Diese Lebenswelten der Lernenden werden also im Unterricht u.U. wenig thematisiert, obwohl sie unmittelbaren Einfluss auf das Zusammenleben in der Schule haben.

 

Beispiel: Thema „Respekt“

Leicht vorstellbar ist das bei einem Thema wie Respekt. Konflikte, die die Folge aus unterschiedlichen Wahrnehmungen und Positionen gegenüber Respekt sind, können einen Bedarf signalisieren, der zum Anlass für ein Projekt werden kann. Dort findet das Individuum dann den Raum und die Zeit seine Position in der geschützten und gesteuerten Auseinandersetzung mit anderen zu finden. Identifiziert sich die/der einzelne mit dem Thema, weil es der unmittelbaren Lebenswelt entspringt, dann ist die Motivation für eine vertiefende Reflexion gegeben. Felder, in denen Respekt betrachtet werden kann, wie „Ich“, „Familie“, "Freundeskreis", „Schule“, „(Mehrheits-)Gesellschaft“, "Gender", "Staat", „Religion“, "Sprache" etc. können altersgerecht in Klassenstufen oder in altersgemischten Gruppen aufgearbeitet werden, z.B. ausgehend von einer Materialsammlung zum Thema "Was heißt hier Respekt" (planet schule: https://www.planet-schule.de/wissenspool/entscheide-dich/inhalt/unterricht/was-heisst-hier-respekt.html). Beobachten, beschreiben, vergleichen und abwägen von Konzepten oder Interpretationen von Respekt in Personen und Regeln dienen durch eine zielgerichtete Reflexion möglicherweise der Erarbeitung einer Schulverfassung, die ein hohes Maß an interkulturellem Konsens aufweist.

 

Beispiel: Thema „Sprache“

Kaum ein anderer Bereich ist so mit kultureller Identität verbunden wie die Sprache. Ein Projekt dazu kann die Vielfalt der Sprachen, die in der Schule und in ihrer Umgebung gesprochen werden, aufgreifen. Das Thema benötigt eigenen Raum und Zeit, um die vielen Sprachen und ihre Sprecherinnen und Sprecher zur Wort kommen zu lassen. Bildungsplan und Schulprofil bieten hier nur die engeren Grenzen des Bildungsplans zu den drei bis vier Fächern des fremdsprachlichen Unterrichts.

Es geht in einem interkulturellen Projekt aber nicht nur darum, die Sprachen sichtbar zu machen, sondern sie auch zu reflektieren. Sprache ist das Fenster zu kulturellen Prägungen. Sie drückt Wirklichkeit nicht ausschließlich aus, sondern sie formt Wirklichkeit. Bewirkt der Metaphernreichtum z.B. der türkischen Sprache eine poetischere Wahrnehmung der Wirklichkeit? Wenn Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Projekt eine andere als die eigene Sprache benutzen, dann benutzen sie auch deren kulturelle Konventionen. Wenn sie dies reflektieren und mit ihrer Sprache vergleichen, kommen sie u.U. zu dem Ergebnis, dass diese kulturellen Konventionen nicht ihren eigenen entsprechen und finden im Austausch mit anderen eine Position der Akzeptanz und Toleranz dazu. Auf der Hand liegt das bei Themen wie „Begrüßungen“ (religiöse vs weltliche Begrüßungsformen), „Respektsbezeugungen“ (Siezen, Duzen, Titel), „sprachliche Bilder“ (s.o.), „Bildung von Fachbegriffen“, aber auch weniger offensichtlich in der Verwendung und Nichtverwendung von grammatischen Strukturen (z.B. Genera, Möglichkeitsformen, Stellung des Subjekts im Satz, etc.).


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Horizonterweiterung durch außerschulische Lernorte

Schulprojekte können sich in die unmittelbare Umgebung öffnen, in die Gemeinde, in den Stadtteil. Die kulturelle Vielfalt dort kann vergleichend auf die kulturelle Vielfalt in der eigenen Schule bezogen werden.

Beispiel: Schulprojekt in unmittelbarer Umgebung (vgl. Seitz 2014, S. 34)

Orte wie Vereine, Museen, Biblio-/Mediatheken (Anregungen in Bibliothek interkulturell), Geschäfte / Restaurants, Versammlungsorte von Glaubensgemeinschaften, Altersheime, Kindergärten, Asylbewerberheime, andere Schulen, Familien, Gemeindeverwaltung können auf ihren Umgang mit Vielfalt hin betrachtet werden. Reflexionen darüber, welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede es im Vergleich mit der eigenen Schule dabei gibt, können zu gemeinsamen Projekten mit diesen Orten genutzt werden, die gemeinsame Ziele verfolgen (eine Anregung: Mümmel leben). Die Schule kann sich nach außen öffnen und etwa ihr interkulturelles Unterstützungsnetzwerk vergrößern. Sie wird umgekehrt auch durch Kooperationen mit einem gesellschaftlichen Gestaltungswillen wahrgenommen und erzeugt im besten Fall Veränderungen von Haltungen und Prozessen in genannten Orten und bei den am Projekt Beteiligten.

 

Außerschulische Lernorte gehören aber auch zum Profil von Programmen wie Erasmus+ (bwz. das Nachfolgeprogramm ab 2021), vor allem länderübergreifende Erasmus+ Schulpartnerschaften mit Themen zu demokratischer Bildung und Interkulturalität. Auch Konsortialpartnerschaften bieten sich an, die unterschiedliche Arten von Bildungseinrichtungen auch aus unterschiedlichen Sektoren vernetzen. Die Partnerinstitutionen können sich in diesem Rahmen an ihren Schulen begegnen und gemeinsam an Bildungsprojekten arbeiten. (z.B. das Projekt „Mehrsprachiges Lesetheater zur Förderung von Lesemotivation und Leseflüssigkeit“ MELT, das von Hochschulen und Schulen aus fünf Ländern durchgeführt wurde). Die Partnereinrichtungen profitieren dabei stark davon, dass das Aufeinandertreffen der unterschiedlichen Bedingungen vor Ort den Blick weitet und sich somit Handlungsalternativen und Lösungsmöglichkeiten auch für die konkrete eigene Schulentwicklung eröffnen. 

Beispiel: Schulprojekt „Wir fahren dann mal weg“

Ein Schuljahresmotto wie „Wir fahren dann mal weg“ bietet auch Schulen interkulturelle Anknüpfungspunkte, die kulturell nicht so vielfältig aufgestellt sind. Einzelne Maßnahmen und Veranstaltungen, die über das Jahr in verschiedenen Jahrgangsstufen stattfinden wie Schullandheim, Schüleraustausch, Drittortbegegnungen, Ausflüge (mit Potenzial für Fremdheitserfahrungen), Auslandsjahr u. Ä. können am Schuljahresanfang vorbereitet werden durch interkulturelle Trainings. Am Schuljahresende können die Erfahrungen in jahrgangsstufenübergreifenden Gruppen ausgetauscht, zusammengeführt und reflektiert werden. Besonders interessant ist, wenn dabei auch die Personen einbezogen werden, die die Schule als Gäste besucht haben und „hier“ Fremdheitserfahrungen gemacht haben.


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Horizonterweiterung durch Kooperation mit Personen von außerhalb der Schule

Alternative Perspektiven werden Lernenden besonders durch Personen (s. o. #außerschulische Lernorte#) ermöglicht, denen sie außerhalb der Schule begegnen oder die die Schule zu sich einlädt. Menschliche Begegnungen, in denen aus erster Hand Erfahrungen und Haltungen geschildert werden, sind authentischer und direkt zugänglich. Durch das unmittelbare Erleben und die Interaktion ergibt sich meist ein höheres Identifikationspotenzial als durch Materialien vermittelte interkulturelle Einblicke. Dazu können Lesungen, Erlebnisberichte, Dialogveranstaltungen dienen mit Personen, die andere kulturelle Perspektiven auf schon vorhandene Themen repräsentieren.

Besonders nachhaltig wirken Interventionen von Personen, die eine Gruppe über einen längeren Zeitraum begleiten, etwa in interkulturellen, gesellschaftspolitischen Workshops, Theater- oder Kunstprojekten. Erfahrungen und andere Sichtweisen können dann zusammen mit diesen Menschen innerhalb des Projekts erfahren und je nach Kontext reflektiert und diskutiert werden. Die gemeinsamen produktiven/kreativen Umsetzungen der Erkenntnisse führen zu Veränderungen in der Haltung hin zu mehr Toleranz und Verständnis für Lebenszusammenhänge.

Es muss aber nicht immer im Kern um interkulturelle Themen gehen. Auch die indische Mutter, die an der Schule ihres Sohnes als Elektroningenieurin eine Roboter-AG leitet, kann wichtige Impules für das Erleben von kultureller Viefalt und Nachdenken über Voruteile geben.

 

Beispiele für außerschulische Unterstützung bei Projekten

Auch außerschulischen Anbieter führen interkulturelle Projekte an Schulen durch oder vermitteln diese (z. B. Globales Klassenzimmer Eine-Welt-Zentrum Heidelberg; colored glasses; Koordinationsstelle Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage). Das Netzwerk für interkulturelles Lernen und Arbeiten an Schulen (NikLAS) unterstützt und berät Lehrkräfte. Einige Kommunen und Landkreise bieten finanzielle Unterstützung für solche Projekte und interkulturelle Konzepte an (z.B. Qualitätsentwicklungsfonds der Abteilung Stuttgarter Bildungspartnerschaften). Die Projekte in der Broschüre Kunst und Integration des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg kann Inspiration für Projektvorhaben sein und aufzeigen, welche Partnerinstitutionen für eine Kooperation in Frage kommen.


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Bibliografische Nachweise

Regierungspräsidium Stuttgart. Fachstelle für das öffentliche Bibliothekswesen (2009): Bibliothek interkulturell. Stuttgart
Online abrufbar hier

Deutsches Youth For Understanding Komitee e.V.: colored glasses

Erasmus+: Erasmus+ Schulpartnerschaften

Erasmus+: Konsortialpartnerschaften

Erasmus+: MELT

Eine-Welt-Zentrum Heidelberg e.V.: Globales Klassenzimmer

Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg (2014): Kunst und Integration. Stuttgart
Online abrufbar hier

Institut für Konfliktaustragung und Mediation e.V.: Mümmel leben

NikLAS - Netzwerk für interkulturelles Lernen und Arbeiten an Schulen

Aktion Courage e.V.: Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage

Seitz, S. (2014): Interkulturalität und Wertebildung. In: Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung München (Hrsg.)(2014): Divers – kontrovers? Ideen für den interkulturellen Schulalltag. München, S. 25-47
Online abrufbar hier


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