Der Umbau der „Wäschekammer“ - Strukturwandel vor Ort: Das Verschwinden der Textilindustrie auf der Schwäbischen Alb

Methodenvorschlag

Verlaufsplanung mit Materialien 

Zeit / Phase Inhalt / methodische Hinweise   Material
  1. Doppelstunde: Phänomen und Ursachen: Was heißt Strukturwandel konkret? Sek II
1.1. Einstieg/ Schulung der Fragekompetenz /Leitfrage: 15.01.1983 Sprengung einer Fabrik

Die Schülerinnen und Schüler werden mit einem 4-minütigen Originalfilm von der Sprengung des Fabrikhochhauses der Firma EMCE am 15.01.1983 konfrontiert (V 1). Von hier aus soll ein Fragenhorizont entstehen:

  • Was ist passiert?
  • Was ging dem voraus?
  • Welche Folgen hat es für den Ort/die Region?

Deutlich wird in diesem Filmausschnitt die offensichtliche Sensation des Ereignisses (allein die Menschenmenge vor Ort unterstreicht dies). Offensichtlich ist auch, was passiert: Ein Fabrikgebäude mitten im Ort wird gesprengt – zweifellos befindet sich etwas im Umbruch; offen bleiben die Hintergründe.

Einen vertieften ersten Eindruck erhalten die Schülerinnen und Schüler mithilfe von AB 1, das zwei Berichte aus der regionalen Tagespresse zu der Sprengung thematisiert: eine sehr blumige Beschreibung der Sprengung (die die Schülerinnen und Schüler mit ihrem eigenen Eindruck durch den Film vergleichen können) sowie einen Kommentar, der schon anzeigt, was hinter der Sprengung steckt.

V 1

AB 1
1.2 Erarbeitung 1: Erklärungen (1): Wie erklärt der zeitgenössische Film, was passiert ist? Hintergründe, Bedeutung, Vorgeschichte Mithilfe eines weiteren Films (V 2), der die Vorgänge kontextualisiert und auch kommentiert und einen Eindruck von der Herstellung von Dokumentarfilmen in den 80er-Jahren vermittelt, erarbeiten die Schülerinnen und Schüler die Hintergründe der Fabriksprengung. Das Schicksal der Firma EMCE fungiert hier als pars pro toto für die Textilindustrie der Schwäbischen Alb, die Sprengung als symbolisches Ende für die im Strukturwandel befindliche Textilindustrie als „Ende einer Epoche“. Zugleich werden die goldenen Zeiten der Maschenindustrie thematisiert und erste Gründe für ihren Niedergang genannt (vorherige Betriebseinstellung, Erdbeben von 1978, unmöglich gewordene Sanierung).
Methodisch lässt sich überdies thematisieren, inwiefern der Film mit Bild-Ton-Scheren arbeitet (z.B. 1’40-3’20) oder wie die Filmaufnahmen durch den Ton mit Sinn unterlegt werden.
V 2 
1.3 Erarbeitung 2: Vorgeschichte: Die Situation der Albstädter Textilindustrie und strukturelle Veränderungen ab Mitte der 1970er In einem Rückblick wird über zwei längere Texte (AB 2 und AB 3) erarbeitet, welche Bedeutung die Textilindustrie in den Wirtschaftswunderjahren für die Region hatte und inwiefern diese Erfolge seit der zweiten Hälfte der 60er-Jahre gefährdet waren. Der Arbeitsauftrag könnte hier lauten:
  • AB 2: Charakterisieren Sie die Situation der Albstädter Textilindustrie: Woran lässt sich ihr Erfolg erkennen? Wodurch wird der weitere Erfolg gefährdet/in Frage gestellt?
  • AB 3: Untersuchen Sie, wie sich der Strukturwandel auf Ebingen und Tailfingen auswirkt.

Mögliche Ergebnisse:

  • Erfolg: bedeutender Anteil des Kreises Balingen an der bundesdeutschen Textilindustrie und hier wiederum vor allem des Raumes Tailfingen/Ebingen; Produkte: Sport- Freizeitkleidung/Unterwäsche/Pullover; Hersteller können den Markt dominieren gegenüber den Abnehmern; Flexibilität von der Maschenproduktion zur Textilproduktion
  • Gefahren: die Produktion unterliegt konjunkturellen Schwankungen (z.B. 1966/67); Arbeitskräftemangel (Konkurrenz durch Metallindustrie); Exportpolitik der Bundesregierung zugunsten von Billiglohnländern; Globalisierung; vom Verkäufer- zum Käufermarkt: Kaufhauskonzerne dominieren gegenüber Einzelhändlern; Preisdruck bei steigendem Lohnniveau; Bedeutung der einzelnen Arbeitskraft erweist sich als Nachteil; auch Umweltauflagen
Auswirkungen: Betriebsaufgaben, massiver Rückgang der Textilindustrie; gebremstes Bevölkerungswachstum, Konsequenzen für die junge Stadt Albstadt; Abfederung durch weiterhin florierende Metallindustrie

AB 2

AB 3 
1.4 Vertiefung: Strukturwandel konkret: zwei Beispiele An den Fallbeispielen Wirolita und Ebona (AB 4), zwei Albstädter Firmen, die 1981 innerhalb von wenigen Wochen den Betrieb eingestellt haben, lassen sich die oben eher allgemein formulierten Entwicklungen konkretisieren und rekonstruieren:
  • Wirolita: Arbeitsplatzverlust (an Zentrale und Filialen), Plötzlichkeit der Entwicklung, keine profitable Produktion, Konkurrenz durch Billigimporte, mangelhafte Auslastung der Produktionskapazitäten, Abmilderung mithilfe eines Sozialplans
  • Ebona: Arbeitsplatzverlust (an Zentrale und Filialen), Schock über die Plötzlichkeit, schlechte Ertragslage, Unmöglichkeit betrieblicher Investitionen, steigende Kosten (z.B. Löhne, Energie), Billigimporte, hohes Zinsniveau für Kredite, Schicksalsschläge bei der Unternehmerfamilie
Dieser Unterrichtsschritt kann auch arbeitsteilig erfolgen.

AB 4

 

1.5 Integration: Ursachen und Erklärungen (2)

Mithilfe von AB 5 werden verschiedene Erklärungen für die Entwicklung der Textilindustrie erarbeitet und gegeneinander abgewogen. Der Arbeitsauftrag könnte lauten:
  • Untersuchen Sie, wie sich die einzelnen Stimmen die Veränderungen erklären, und ordnen Sie die Erklärungen, z.B. in einem Strukturschema, einem Wirkungsgefüge oder in einer Mindmap.

Mögliche Ergebnisse, die verschieden erklärungsstark sind und deshalb geordnet und beurteilt werden sollten, sind:

  • Eine vollständige Erfassung ist kaum möglich.
  • verschärfte Konkurrenz mit den Niedriglohnländern
  • Intensität des Wettbewerbs zwischen den europäischen Teilproduzenten
  • Ölverteuerung und die daraus vor allem sich ergebende hohe Rezession 1974/75
  • Wechselkursfreigabe als zusätzlicher und besonderer Wettbewerbsnachteil im internationalen Handel
  • Automatisierung und Rationalisierung
  • hohe Lohnkosten am Standort Deutschland
  • lohnintensive Produktionsstufen (z.B. das Nähen) in Niedriglohnländer verlagert
  • Modernisierung der Produktion: Rationalisierung
  • Öffnung von Märkten und Grenzen
  • verändertes Kaufverhalten von KonsumentInnen
  • Die Geschäftstätigkeit wurde eingestellt, ein passender Nachfolger nicht gefunden oder erst gar nicht gesucht.
  • schwere Erdbeben 1978 und daraus entstandener Schaden an vielen Wohn- und Fabrikgebäuden
  • Qualifikation, die ArbeiterInnen an der Maschine aufweisen muss, stieg zunehmend
  • immer weniger FacharbeiterInnen mit immer mehr Technologiewissen
Dabei sollten diese allgemeinen Erklärungen bestenfalls an die konkreten Beispiele, die bislang betrachtet worden sind, rückgebunden werden.
 AB 5
1.6 Reflexion: Welche Folgen haben diese Entwicklungen für die Region? Die Schülerinnen und Schüler sollen in diesem Schritt die Folgen für die Region reflektieren und dabei schon Inhalte der folgenden Doppelstunde vorentlasten. Mögliche Überlegungen wären:
  • Abwanderung, Verarmung, Arbeitsplätze in Distanz (Pendeln),
  • Gegenmaßnahmen: Industrieansiedlung, Fortbildung, Verlagerung
  • Deindustrialisierung, Tertiarisierung, Hinwendung zum Tourismus
Umwidmung der Industriegebäude oder Abriss
 
1.7 Hausaufgabe: Rechercheauftrag Als Rechercheauftrag, der in der nächsten Stunde einbezogen werden soll, können die Schülerinnen und Schüler die Situation an ihrem Heimatort recherchieren: Wo gibt es ehemalige Fabrikgebäude, die leer stehen oder umgenutzt werden.  
2. Doppelstunde: Die Folgen - Was bedeutet Strukturwandel für eine Stadt? Wie geht es weiter? Wie reagiert eine Region auf den Strukturwandel? Sek II 
2.1 Einstieg, HA-Auswertung und Leitfrage: Was passiert mit einer Stadt, deren Industrie verschwindet?  

Mit dem folgenden Zitat soll der Fokus auf die Ergebnisse der Vorstunde und auf die anschließende Hausaufgabe gerichtet werden:

  • „Die heute sichtbaren Folgen der Strukturkrise […] zeigen sich in der industriell geprägten Stadt Albstadt in der Region Neckar-Alb u.a. besonders dramatisch an der hohen Zahl der Gewerbebrachen im Stadtgebiet.“ (Christina Koß)

Hieraus soll die Leitfrage generiert werden: Was passiert mit einer Stadt, deren Industrie verschwindet?

Eine erste Antwort kann schon aus der Auswertung der Hausaufgabe erfolgen.

Am Beispiel von Albstadt sollen zwei Bereiche besonders untersucht werden (arbeitsteilig oder arbeitsgleich in Gruppen): die Auswirkungen auf die städtische Geographie (mithilfe von Fotos) und die Auswirkungen auf die Bevölkerungs- und Wirtschaftsstruktur (mithilfe von Statistiken).
 

2.2 Erarbeitung 1: Untersuchungsgegenstand: Stadtgeographie

Die Präsentation (D 1) können die Schülerinnen und Schüler entweder gemeinsam im Plenum anschauen oder individuell auf digitalen Endgeräten oder die Lehrkraft druckt die einzelnen Seiten aus und erstellt einen Gallery Walk. Der Arbeitsauftrag könnte lauten:

  • Notieren Sie, was aus den einstigen Firmen geworden ist. Überwiegt die Kontinuität oder der Bruch?
  • Halten Sie fest, wie die ehemaligen Fabrikgebäude weiter genutzt werden, und beurteilen Sie die Entwicklung.
Zur Auswertung bietet sich eine vierspaltige Tabelle an (Firma/Weiternutzung/Umnutzung/urteilender Kommentar).
D 1 
2.3 Erarbeitung 2: Untersuchungsgegenstand Demographie und Wirtschaftsstruktur Aufgrund von vielfältigen regionalen Statistiken sollen die Schülerinnen und Schüler die tieferliegenden Folgen des Strukturwandels untersuchen: Über die Entwicklung der Einwohnerzahlen im Zollernalbkreis und innerhalb der Ortsteile von Albstadt, über längerfristige Wanderungsbewegungen und über die Altersstruktur kommen die Schülerinnen und Schüler zu Aussagen zur demographischen Entwicklung. Die wirtschaftliche Entwicklung können die Schülerinnen und Schüler über Arbeitsmarktdaten, Branchenerhebungen, Betriebszahlen sowie Vergleichsdaten landesweit erfassen (AB 6). Dafür sollen sie möglichst zu (mindestens) einer Aussage pro Statistik gelangen, um das Ausmaß des Strukturwandels abschließend beurteilen zu können. AB 6
2.4. Vertiefung und Integration: Strukturwandel als Chance? Albstadt nach der Jahrtausendwende

Wie schlimm hat der Strukturwandel Albstadt getroffen? Ist die Region bis heute gezeichnet? Oder kann man in Albstadt von „schöpferischer Zerstörung“ (Impuls auf AB 7) sprechen? Bevor diese Frage abschließend beurteilt werden kann, sollen sich die Schülerinnen und Schüler anhand von zwei eher hoffnungsvollen Zeitungsmeldungen aus den 00er-Jahren (AB 8) über die weitere Entwicklung informieren, in denen Zukunftspotenziale beschrieben werden.

  • Artikel vom 20.10.2005: innovative und hochmoderne Produkte; Bsp.: Fa. Comazo: Verbreiterung der Produktpalette, intelligente und edle Produkte (schweißabsorbierende Wäsche der höheren Preiskategorie), Markenbildung, Tochterfirmen in Osteuropa, eigener Vertrieb in Herstellermärkten; allgemein: moderne Maschinenparks, Rationalisierung und dadurch Erhaltung der Produktivität, Textilien für spezielle Bereiche (Medizin, Automobile), Fachkräftereservoir
Artikel vom 20.01.2006: Veränderung des Stadtbildes, Abriss leerer Fabrikgebäude, leerstehende Wohnungen in ehem. Arbeitersiedlungen, Umnutzung der Fabriken zu Wohnanlagen, zu öffentlichen Orten (z.B. Bücherei, Museum), Altersheime, Fachhochschule, Parks, Erweiterung florierender Firmen (z.B. Fa. Groz-Beckert), hohe öffentliche Investitionen in „Stadtumbau“, Bauland für Familien: finanzielle Anreize, um neue Bewohner zum Herzug zu motivieren

AB 7

AB 8

2.5 Urteilsbildung: Beurteilung der Entwicklung: desolat oder hoffnungsvoll?

Auf der Basis des bisher Erarbeiteten sollen die Schülerinnen und Schüler nun zu einer begründeten Bewertung des Phänomens „Strukturwandel“ und seiner Folgen kommen. Als Impuls lässt sich das Zitat von Christina Koß nutzen:

„[Es] lässt sich sagen, dass die strukturellen Veränderungen in der Textilindustrie die Stadt Albstadt aufgrund ihrer einseitigen Prägung durch diese Branche seit den 70er-Jahren negativ beeinflusst haben. Der Einbruch der Textilbranche im Rahmen der Globalisierung führte zu der Verlagerung einzelner Produktionsschritte, zu Automatisierung und Rationalisierung in den Unternehmen und trug somit zu dem Rückgang der Branche in Albstadt bei. Für die Stadt bedeutet diese Entwicklung den Rückgang an Arbeitsplätzen, schwindende Kaufkraft und ein von verlassenen Textilfabriken geprägtes Stadtbild.“

Eine weitere Kommentierung ergibt sich vielleicht mithilfe des Impulses V 3, der mit den Bildern des Einsturzes des Fabrikkamins der Fa. Rehfuß & Stocker (Ebingen) aus dem Jahre 2006 spielt.
V 3

 

 


- Arbeitskreis Landeskunde/Landesgeschichte an der ZSL-Regionalstelle Tübingen -

 


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