Homerische Sprache

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Diese Einführung behandelt nur besonders häufige Phänomene und soll SchülerInnen das Übersetzen und Belegen griechischer Wendungen erleichtern.
Die Einführung orientiert sich an den „24 Regeln zur homerischen Sprache", die in jedem Faszikel des „Basler Kommentars zur Ilias" abgedruckt sind:
„Homers Ilias. Gesamtkommentar (Basler Kommentar)“: Prolegomena, hg. v. Joachim Latacz (Berlin/New York: De Gruyter, 3. Aufl. 2009).

Die homerische Sprache

Neben dem Ionischen als einer Hauptgruppe der Alltags-Dialekte bildet sich seit dem 8. Jahrhundert v. Chr. ein literarischer Dialekt des Ionischen heraus – der so nie gesprochen wurde. Die homerische Sprache ist eine Kunstsprache, die im Kern von diesem ionischen Dialekt bestimmt ist. Die Sprache in Ilias und Odyssee enthält aber auch ältere äolische Formen (z. B. Inf. ἔμμεν/ἔμμεναι statt ionisch εἶναι). Zudem haben sich Spuren des Griechischen erhalten, wie es aus Mykenischer Zeit überliefert ist; dies gilt vor allem für den im Mykenischen noch erhaltenen Buchstaben Digamma = ϝ/Ϝ (als „W“ gesprochen).

Geprägt ist diese Kunstsprache wesentlich auch durch das Versmaß (daktylischer Hexameter) und die Technik der oral poetry: In der zunächst ausschließlich mündlich vorgetragenen und überlieferten epischen Dichtung wurden häufig wiederkehrende Formeln verwendet, die sich in lautlichen Varianten an die jeweiligen metrischen Anforderungen anpassen ließen.

Hauptmerkmale der Homerischen Sprache

1. Lautlehre

Homerische Sprache

Attisch

1.1 Vokale

1.1.1 ursprüngliches wandelt sich immer zu ηWandel von ᾱ zu ηDass sich ursprüngliches zu η gewandelt hat, lässt sich gut nachvollziehen an μήτηρ (aus *μᾱτηρ, vgl. lat. māter).:

Τροίη

ursprüngliches bleibt nach ε, ι, ρ erhalten (α-purum):

Τροία

1.1.2 Kontraktion

unterbleibt oft:
ὁ νόος
ἄστεα
ἐμέο, σέο

alternativ ευ für εο
ἐμεῦ, σεῦ

Kontraktion

durchgängig:
ὁ νοῦς
(τὰ) ἄστη
ἐμοῦ, σοῦ

1.1.3 Ersatzdehnung für ausgefallenes ϝ (Digamma):

μοῦνος (aus *μόνϝος)
ξεῖνος (*ξένϝος), εἵνεκεν (*ἕνϝεκα)

ausgefallenes ϝ ohne Nachwirkung

μνος
ξνος, νεκα

1.1.4 epische Zerdehnung:

(kontrahierter) Vokal wird in kurzen und langen Vokal aufgeteilt

ὁρόωντες
ἰδέειν

 

 


ὁρντες (aus ὁράοντες)

ἰδεῖν (aus ἰδέεν: Inf. des starken Aor. zu ὁράω)

1.1.5 Hiatkürzung

Langer Vokal/Diphthong im Auslaut wird gekürzt.

‾  ˘  ˘  ‾  ˘  ˘αῐ statt αι̅Der eigentlich lange Diphthong αι wird hier kurz gelesen.  ‾  ˘οῐ statt οι̅Der eigentlich lange Diphthong οι wird hier kurz gelesen.  ˘  ‾  ‾  ‾  ˘
Ἀτρεΐδαι τε καὶ ἄλλοῐ ἐϋκνήμιδες

 

 

καί̅ … ἄλλοι̅

1.1.6 Vertauschung von Längen und Kürzen (sog. metathesis quantitatum) unterbleibt oft

Ὀδυ(σ)σήος (auch Ὀδυσσέος
βασιλήων (ohne Kürzung)

regelmäßige metathesis quantitatum

 

Ὀδυσσέως
βασιλέων

1.1.7 Synizese

Aus metrischen Gründen müssen manchmal zwei Vokale als eine Silbe gelesen werden. (Das ε wird wie ein [j] gelesen.)

Πηληϊάδ͜εω (zugleich 1.1.2)
θ͜εοί
ἡμ͜έων (zugleich 1.1.2)

 

 

(Πηλ͜ειάδου)
(θε|οί)
(ἡμν)

1.1.8 metrische Dehnung

Um im Hexameter drei (oder mehr) aufeinanderfolgende kurze Silben oder eine kurze zwischen zwei langen Silben zu vermeiden, wird ein kurzer Vokal gedehnt:

οὔρεᾰ

 




(τὰ) ρεᾰ

1.1.9 Psilose (Hauchschwund) am Beginn von Worten/Wortstämmen

μμινμμες

Hauchlaut erhalten

μῖν (Dat. zu ἡμεῖς) – μεῖς

1.2 Konsonanten

 

1.2.1 doppelt oder einfach (je nach metrischer Anforderung)

Ὀδυσσεύς und Ὀδυσεύς
Αχιλλεύς und ᾿Αχιλεύς

nur:

Ὀδυσσεύς
᾿Αχιλλεύς

1.2.2 Digamma entfällt, bleibt aber erkennbar

ἔεδνα aus mykenisch
ἔϝεδνα / ϝέδνα
Digamma verhindert Hiat im Vers:
Ἀτρεΐδης τε | (ϝ)ἄναξ ἀνδρῶν

 

δνα
   

2. Formenlehre

Homerische Sprache

Attisch

2.1 Nomen

2.1.1 a-Deklination

Gen. Sg. m. ᾱo/-εω: Ἀτρεΐδᾱo, Πηληϊάδεω
Dat. Pl. -ῃσι(ν)/-ῃς für -αις:
θεῇσι(ν) / θεῇς
Gen. Pl. -άων/-εων: θεάων / βουλέων

 

(τοῦ) Ἀτρεΐδου, Πηληϊάδου
(ταῖς) θεαῖς
(τῶν) θεν / (τῶν) βουλν

2.1.2 o-Deklination

Sg. m. -οιο /-οο für -ου: Ἠελίοιο
Dat. Pl. εἶπ-οισι(ν)
für -οις: (τοῖς) φίλοισι

 

(ὁ Ἥλιος Gen.: τοῦ) Ἡλίου
(τοῖς) φίλοις

2.1.3 3. Deklination

Gen. Sg. -ιος / -ηος statt -εως: πόλιος
Dat. Pl. auf -εσσι(ν) statt -σι(ν): ἐπέεσσιν

 

(ἡ πόλις, Gen.: τῆς) πόλεως
(τοῖς) ἔπεσι(ν)

2.1.4 Dat. Sg./Pl. auf -φι

βίηφι: mit Gewalt

 

(τῇ) βί

2.2 Pronomen

2.2.1 Personalpronomen:

 

2.2.1.1 1.Ps. Sg.

Gen. ἐμέο / ἐμεῖο / ἐμεῦ / ἐμέθεν

1. Ps. Pl.
Nom. ἄμμες
Gen. ἡμείων, ἡμέων
Dat. ἄμμιν
Akk. ἡμέας / ἡμέας / ἄμμε

 

ἐμοῦ / μου


ἡμείς
ἡμῶν
ἡμίν
ἡμάς

2.2.1.2 2. Ps. Sg.

Gen. σέο / σεῖο / σεῦ / σέθεν
Dat. τοί

2. Ps. Pl.
Nom. ὔμμες
Gen. ὑμείων
Dat. ὔμμι(ν)
Akk. ὑμέας / ὔμμε

 

σοῦ/σου
σοῖ/σοι


ὑμεῖς
ὑμῶν
ὑμῖν
ὑμᾶς

2.2.1.3 3. Ps. Sg.

Gen. ἕο / εἷο / εὗ / ἕθεν
Dat. οἷ / ἑοῖ / οἱ (enklitisch)
Akk. / μιν (enklitisch)

3. Ps. Pl.
Gen. σφέων / σφείων / σφῶν
Dat. σφίσι(ν) / σφι(ν)
(enkl.)
Akk. σφ(ε) / m./f. σφέας

 

αὐτοῦ, αυτῆς
αὐτῴ, αὐτῇ
αὐτόν, αὐτήν, αὐτό


ἑαυτῶν / αὐτῶν
(refl. σφῶν)
αὐτοῖς, αὐταῖς, αὐτοῖς
αὐτούς, αὐτάς
(refl. σφᾶς)

2.2.2 Possessivpronomen:3. Ps. Sg.

3. Ps. Sg.
ὅς (ἑός), ἥ, ὅν
(sein/ihr)

3. Ps. Pl.
σφέτερος,α,ον / σφός, σφή, σφόν (ihr)

 


(ἑ)αὐτοῦ, (ἑ)αὐτῆς


(ἑ)αὐτοῦ, (ἑ)αὐτῆς

2.2.3 Relativpronomen:

häufig durch den Artikel vertreten:
ὁ, ἡ, τό
Gen. τοῦ, τῆς, τοῦ

Nom. Pl. τοί, ταί

 


ὅς, ἥ,
Gen.: οὗ, ἧς, οὕ

οἵ, αἵ

2.2.4 Demonstrativpronomen:

häufig durch den Artikel vertreten:
ὁ, ἡ, τό
(ἐ)κεῖνος,η,ο

 

 

οὗτος, αὕτη, τοῦτο: dieser, diese, dieses
ἐκεῖνος,η,ο

2.3 Verben

 

2.3.1 Augment ist fakultativ

 

πάθεν
ὄλοντο

ἔπαθεν (starker Aor. zu πάσχω)
λοντο (starker Aor. zu ἀπόλλυμαι: zugrundegehen)

2.3.2 Inf. auf -μεν/-μεναι

 

εἴπεμεν
ἔμμεναι

εἰπεῖν
εἶναι

2.3.3 Tmesis: Trennung von Präfix und Verbum simplex

 

κατὰ βοῦς Ὑπερίονος Ἠελίοιο ἤσθιον
sie aßen … auf/verspeisten

von κατ|εσθίω (aufessen)

2.3.4 Abweichende Formen von εἰμί

 

εἰμέν
σσί (auch enkl.)…

Konj. ῶσι
Part. ών, οῦσα

σμέν
εἶ …
(ἵνα)  σιν

ν, οὖσα
2.3.5 Iterative der Vergangenheit auf -σκον und -σκόμην
 
φέρεσκον (ohne Augment s. 2.3.1) Impf.: φερον ich trug/sie trugen (immer wieder)
2.3.6 Personalendungen
 

2. Sg. Akt.: (αἰ κ̓) ἐθέλῃσθα
1. Ps. Pl. Med.-Pass.: δυνάμεσθα
3. Pl. Perf. Med.-Pass.: κέαται (auch κέονται)

(ἐάν) ἐθέλῃς (falls) du möchtest
δυνάμεθα
Perf.: κεῖνται sie liegen

2.3.7 kurzvokalische Konjunktive
 

ομεν lass(t) uns gehen! (zu εἶμι)
εἴδομεν (zu οἶδα)

ωμεν
εἴδωμεν

 

3. Kleine Wörter

Homerische Sprache

Attisch

3.1 Partikeln und Konjunktionen

κέ(ν)
αἰ – αἴ/εἴ κε
ἄταρ / αὖταρ aber, doch
ἄρα / ἄρ / ῥα / ῥ̓  ja, (denn) also, natürlich
τοι zur Partikel erstarrter Dativ des Personalpronomens der 2. Ps. Sg., davon oft nicht klar zu unterscheiden (vgl. ‚<denk> dir’‚<sag ich> dir’)

 

ἄν
εἰἐάν
ἀλλά / δέ
ἄρα
τοι / σοι

3.2 Präpositionen

 
3.2.1 Formenvielfalt
 

ἄν (assimiliert

ἄμ̓  πεδίον über die Ebene)

ἐς εἰν / ἐνί / εἰνί

κάτ
προτί / ποτί
πάρ /παραί
ξύν

ἀνά
εἰςἐν
κατά
πρός
παρά
σύν

3.2.2 freiere Verwendung und Stellung
 

ἀλλ̓  ἄνα „auf (geht’s)!“   
nachgestellt
(als anfangsbetonte Postposition):
φίλων πο (fern) von den Lieben

Tmesis s. 2.3.3

 

ἀπ φίλων

 


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