Etymologie: Einführung
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Hier finden Sie Vorschläge dazu, wie durch etymologische Beobachtungen Sprachreflexion und Wortschatzarbeit im Griechisch-Unterricht gestärkt werden können. Zu diesem Zweck wird eine umfangreiche Sammlung von Wörtern angeboten, deren Bedeutung sich durch Metaphern und Metonymien verändert hat.
Die Griechen der Antike waren fasziniert von der Suche nach den ἀρχαί, den "Ursprüngen" oder auch "Prinzipien", so verwundert es nicht, dass sie auch nach der ursprünglichen und "wahren" Bedeutung von Worten, Namen und Begriffen suchten: Der Begriff ἐτυμολογία/etymología (aus ἔτυμος: "wahr" und λόγος: "Rede") bedeutet "Lehre von den wahren Bedeutungen".1 Viele der antiken Erklärungen sind zwar aus heutiger wissenschaftlicher Sicht historisch nicht richtig (etwa die platonische Ableitung des Götternamens Apollon von ἀπόλυσις "Erlösung" oder von ἁπλοῦν "das Einfache [beim Wahrsagen]"2), aber das schmälert nicht die Pionierleistung der Griechen beim Bemühen um die Entwicklung einer historischen Sprachbetrachtung.
1 vgl. Etymologie: Altertum auf wikipedia.org
2 Zwei von mehreren Vorschlägen Platons (Kratylos 404d ff.)
Sprachgeschichte, Sprachvergleich, Sprachreflexion und Wortschatzarbeit
Die Ursprünge des Griechischen lassen sich durch schriftliche Zeugnisse noch heute bis in mykenische Zeit zurückverfolgen. Das Griechische bietet daher wie keine andere europäische Sprache die Chance, die Entwicklung des Indoeuropäischen bis zu dessen Ursprüngen zu verfolgen. Für Schüler lässt sich diese spannende sprachgeschichtliche Perspektive mit der Aufgabe verbinden, über die Entwicklung von Sprache und Bedeutungen allgemein zu reflektieren - gerade auch im Vergleich mit der eigenen Sprache. Darüber hinaus kann diese Sprachreflexion dabei helfen, beispielsweise für die Präposition ἐπί so unterschiedliche Bedeutungen wie "auf, an, bei", "zur Zeit von" und "unter der Bedingung" in ihrem sprachgeschichtlichen Bedeutungszusammenhang zu verstehen und so leichter zu lernen.1
1 Eine Schüler-Übung zu den verschiedenen räumlichen, zeitlichen und übertragenen Bedeutungen der Präpositionen und deren historischer Entwicklung und weiterführende Überlegungen zum Rätsel "Sprache" finden sich auf dem Lehrerfortbildungsserver.
Historische Bedeutungsentwicklung
Wie bilden sich in einer Sprache neue Bedeutungen und neue Worte heraus? - Dies geschieht zum einen durch die Neukombination von Wörtern, (z. B. ἡ δημο|κρατία: Volksherrschaft) ein Verfahren, das im Griechischen besonders häufig angewandt wurde und daher beim Lernen der Komposita einen großen Stellenwert einnehmen sollte.
Abstrakta aus Begriffen konkreter Anschauung
Zum anderen entstanden im Laufe der Zeit neue, vor allem abstrakte Bedeutungen dadurch, dass Begriffe, die der konkreten Anschauung entstammten, in metonymischem und metaphorischem Sinne gebraucht wurden. Im oben genannten Beispiel der Präposition lässt sich beispielsweise die Abfolge einer räumlichen, zeitlichen und übertragenen Bedeutung nachvollziehen. Besonders eindrücklich für Schüler sind entsprechende Entwicklungen, wenn eine solche Bedeutungsentwicklung hin zum Abstrakten sich analog im Griechischen und im Deutschen vollzogen hat, z. B. beim Wort ἐπίσταμαι (aus ἐπί "zu, an, bei" und ἵσταμαι "sich stellen"): "sich zu etwas stellen, sich auf etwas verstehen"; in diesem Beispiel leitet sich der Stamm "stehen" sogar etymologisch vom gleichen Stamm wie -στα-/στη- in ἐπίσταμαι ab.
Metonymien und Metaphern
Im Wesentlichen lässt sich die Entwicklung neuer Bedeutungen auf zwei Mechanismen zurückführen:
1. Bei der Metonymie ("Umbenennung") wird eine Bedeutung durch eine begrifflich nahestehende ersetzt, mit der sie in einem sachlichen Zusammenhang steht; z. B. ἀργύριον: "Silber", später "(das daraus hergestellte) Geld".
2. Bei der Metapher ("Übertragung") entsteht eine neue Bedeutung dadurch, dass ein gedanklicher Zusammenhang (in einem impliziten Vergleich) auf einen davon unabhängigen Zusammenhang übertragen wird, z. B. καταλαμβάνω "ergreifen", später "begreifen, erfassen; zustoßen".
Unterrichtlicher Alltag
Im Sinne der reflektierenden Sprachbetrachtung nach dem Bildungsplan können entsprechende Zusammenhänge genutzt werden für:
- die Einführung von neuem Wortschatz;
- die Wiederholung von Wörtern;
- die Erschließung von nicht gelernten bzw. passenden Bedeutungen.
Dies kann im Lehrervortrag, im Unterrichtsgespräch oder auch im selbstständigen Üben geschehen.
Beispielübung zu Verben des Erkennens
Im Laufe der historischen Sprachentwicklung haben sich aus konkreten Begriffen abstrakte Bedeutungen herausgebildet. Dies lässt sich z. B. an Verben des Erkennens nachvollziehen, deren Bedeutung häufig auf Metaphern aus den Bereichen Raum und Wahrnehmung zurückgeht, z. B. ἐπ|ίσταμαι sich auf etwas verstehen
- Übersetze die Verben so, dass auch im Deutschen die konkrete Ausgangsbedeutung erkennbar wird:
σκέπτομαι • οἶδα • προσέχω (τὸν νοῦν) • σκοπέω • καταλαμβάνω - Ordne folgenden Verben die passende Bedeutung zu:
ἐννοέω • ἐνθυμέομαι • συννοέω • ἐπισκοπέω
beherzigen • inne werden • betrachten • verstehen
Metaphern und Metonymien - eine Sammlung
Die folgende Tabelle ist ein Ausschnitt aus einer Sammlung von Wörtern, deren Bedeutung sich durch Metonymie und Metapher verändert hat. Hier können Sie die komplette Wortsammlung downloaden im
Grundlage
Die Etymologien, die hier angegeben sind, wurden anhand von Beekes 2010 überprüft und entsprechen damit weitgehend dem neueren Stand der sprachwissenschaftlichen Forschung. Nach wie vor nützlich ist es, Hjalmar Frisks Griechisches Etymologisches Wörterbuch (Heidelberg: 3 Bde., 1954-1972) zu Rate zu ziehen.
Anleitung
In der ersten Spalte sind die Worte in Umschrift angegeben, um eine alphabetische Suche zu ermöglichen (Angaben zur Umschrift in der Tabelle).
In der zweiten Spalte findet sich das griechische Wort
Die dritte Spalte gibt die Bedeutungen des Wortes an.
In der vierten Spalte findet sich ein Hinweis, ob die Bedeutungsveränderung auf eine Metapher (MP) oder eine Metonymie (MO) zurückzuführen ist.
Die fünfte Spalte erläutert die sprachgeschichtliche Herleitung.
Die sechste Spalte führt so präzise wie möglich die konkrete Ausgangsbedeutung auf.
Wortsammlung (Ausschnitt)
Umschrift (zur alphabeti-schen Suche) ee = η oo = ω ch = χ th = θ ph = φ |
griechisches Wort |
Bedeutung |
Ursprung IE: indoeuropäisch h1,2,3: indoreuropä-ische Laryngale1, im Griechischen als e, a, o konkretisiert *: Asterisk für rekon-struierte Formen |: Zeichen für Zusammenset-zungen (z. B. Stamm|Endung) |
Ausgangsbedeutung | |
adelphee/ adelphos |
ἡ ἀδελφή ὁ ἀδελφός |
Schwester Bruder | MO | aus Präfix α- und | aus derselben Gebärmutter |
agamai | ἄγαμαι | bewundern, sich wundern | MP | ἄγαν aus IE *meg|h2 groß (vgl. μέγας) | als groß ansehen |
agoon | ὁ ἀγών,ῶνος |
1. Wettkampf 2. Prozess |
MO |
ἄγω führen, treiben | Versammlungsplatz |
andreia | ἡ ἀνδρεία | Tapferkeit | MP | ὁ ἀνηρ, ἀνδρ|ός | Mann|haftigkeit (vgl. lat. vir|tus) |
... | ... | ... | ... | ... |
1 Laryngale sind Laute, die im Rachenraum oder im Kehlkopf gesprochen wurden und die die Aussprache benachbarter Vokale beeinflusst haben; die Laryngale selbst wurden im Laufe der Sprachentwicklung nur noch abgeschwächt ausgesprochen oder sind ganz verschwunden. Die Laryngaltheorie wurde von Ferdinand de Saussure 1879 aufgestellt und ist in der Sprachwissenschaft inzwischen durchgehend anerkannt.
LITERATUR
Beekes, Robert 2010: Etymological dictionary of Greek, Leiden: Brill, 2 Bde.
Etymologie auf dem aktuellen Stand der Sprachwissenschaft
Bengl, Hans 1958: Griechische Wortkunde, München: Bayerischer Schulbuchverlag, 2. Aufl.
Instruktive Übersicht zu Möglichkeiten der Bedeutungsentwicklung S. 14-17
Deutscher, Guy 2011: Du Jane, ich Goethe. Eine Geschichte der Sprache, üs. von Martin Pfeiffer, München: dtv 34655
Sehr anregende und unterhaltsame Einführung in die Mechanismen der Sprachentwicklung mit sprachwissenschaftlicher Tiefe
Frisk, Hjalmar 1954-1982: Griechisches Etymologisches Wörterbuch, Heidelberg: Universitätsverlag Winter
Umfangreiches Nachschlagewerk, das jedoch nicht in allen Herleitungen dem neuesten sprachwissenschaftlichen Erkenntnisstand entspricht.
Struck, Erdmann1954: Bedeutungslehre. Grundzüge einer lateinischen und griechischen Semasiologie mit deutschen, französischen und englischen Parallelen, Stuttgart: Klett, 2. Aufl.
Viele aufschlussreiche Beobachtungen zur Entwicklung von Bedeutungen vor dem Hintergrund psychologischer Beobachtungen (z. B. zur Metapher des Feuers)
Wirth, Theo 2001: Elemente einer sprachlichen Allgemeinbildung – ein Ziel des Lateinunterrichts, in: AU 2, 2001: Anregungen zum Sprachunterricht, S. 15-19
Vorstellung eines didaktischen Konzepts zur Sprachbildung und Reflexion im Latein-Unterricht
Wirth, Theo/Seidl, Christian/Utzinger, Christian 2006: Sprache und Allgemeinbildung. Neue und alte Wege für den alt- und modernsprachlichen Unterricht am Gymnasium, Zürich: Lehrmittelverlag des Kantons Zürich
Umfassendes didaktisches Konzept zur Sprachbildung und -reflexion mit praktischen Vorschlägen zur Umsetzung im altsprachlichen Unterricht.
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