Lateinische Bibliothek
Cicero, Orationes Philippicae 1, 4-6 (Auszüge)
Der Sinneswandel des Antonius; die kultische Verehrung des ermordeten Diktators Caesar
Fortsetzung von Philippicae 1, 1.
Hinweise: Die Vokabelangaben mit einem Stern * verweisen auf den Spezialwortschatz zu den Orationes Philippicae, die Links mit dem Kürzel GH (=Grammatische Hilfen) auf die Übersetzungshilfen im Lateinportal, die übrigen zu den Kurzbiographien der politischen Akteure in den Philippischen Reden und zur Zeittafel.
Inhalt dieses Textauszugs: Cicero lobt zuerst die Zurückhaltung, die Antonius anfangs nach Caesars Ermordung an den Tag legte. Er beschreibt auch – wenngleich sehr indirekt - , welche Verehrung der ermordete Diktator in den Wochen nach den Iden des März erfuhr. Sein Leichnam war, entgegen dem Brauch, auf dem Forum verbrannt worden und seine Anhänger errichteten vor der Stelle der Einäscherung eine Säule, die Antonius' Amtskollege Dolabella aber wieder abreißen ließ.
Text | Kommentar und Übersetzungshilfen |
[Philippicae 1, 4] magnumque pignus ab eo rei publicae datum, se liberam civitatem esse velle, cum dictatoris nomen, quod saepe iustum fuisset, propter perpetuae dictaturae recentem memoriam funditus ex re publica sustulisset*. |
offerre, offero, obtuli, oblatum: bringen perferre, perfero, pertuli, perlatum: ertragen regnum: die Königsherrschaft pignus, pignoris, n.: das Pfand saepe iustum: vor Caesars Zeiten war das Amt der dictatura eine Maßnahme für den Notstand und für begrenzte Zeit; C. Iulius Caesar hingegen richtete eine dictatura perpetua ein (perpetuus: ewig) funditus: völlig, mit Stumpf und Stiel recens: kürzlich |
[Philippicae 1, 5] Liberatus periculo caedis* paucis post diebus senatus; … Atque haec omnia communiter cum collega; alia porro propria Dolabellae, quae, nisi collega afuisset, credo iis futura fuisse communia. |
paucis diebus: Ablativ des Maßes (mensurae); GH Kasuslehre. collega: nach Caesars Ermordung trat P. Cornelius Dolabella als Ersatz für den Ermordeten das Konsulat an. communiter: gemeinsam; ergänze: 'er tat, führte aus' alia propria: ergänze 'erant' futura fuisse: dass sie es gemeinsam gemacht hätten |
Das Foto zeigt das Forum Romanum, vom Kapitol aus gesehen. Der Pfeil weist auf den Tempel des vergöttlichten Caesar (aedes divi Iuli), den Octavian im Jahr 29 v. Chr., also zwei Jahre bevor er den Ehrennamen Augustus annahm, errichten ließ. Man kann erkennen, dass die Kult- und Verehrungsstätte und die Stelle des späteren Tempels sozusagen im innersten Zentrum der Welt lagen: Das Forum Romanum war das Zentrum Roms, und in dessen Mitte wurde des wichtigsten Mannes gedacht.
Im folgenden Textauszug stellt Cicero dar, wie gleich nach Caesars Tod an dieser Stelle die Verehrung des toten Diktators begann. Cicero wie auch die Caesarmörder sahen diese Verehrung kritisch, während sowohl Octavian als auch Antonius die Erinnerung an C. Iulius Caesar aufrechterhielten und sich auf ihn beriefen.
Siehe auch die Kurzbiographien zu Octavian und M. Antonius und den Wikipedia-Artikel über diesen Tempel.
Nam cum serperet in urbe infinitum malum idque manaret in dies latius idemque bustum in foro facerent, qui illam insepultam sepulturam effecerat, et cotidie magis magisque perditi* homines cum sui similibus servis tectis ac templis urbis minitarentur, talis animadversio fuit Dolabellae cum in audaces sceleratosque servos, ut mihi mirum videatur tum valde reliquum tempus ab illo uno die dissensisse. |
serpere: kriechen malum: gemeint ist mit dem 'Übel' die Verehrung für den ermordeten Diktator Caesar. idem: Nom. Pl.: dieselben Leute, die vorher als eine Gefahr für die res publica beschrieben wurden manare: fließen in dies: Tag um Tag mehr bustum: das Grabmal, die Grabstätte insepulta sepultura: das Begräbnis ohne Begräbnis (Stilmittel: Oxymoron) minitari: drohen animadversio (+ in m. Akk.): die Strafe, das Vorgehen gegen liberos: liberi bedeutet hier 'freie Bürger' cum … tum: sowohl … als auch besonders eversio, eversionis, f.: das Abreißen, der Abriss columna exsecrata: die verwünschte Säule (siehe Vorspann) illo uno die: gemeint ist der Tag, an dem Dolabella die Säule für Caesar (und übrigens auch einen Altar) abreißen ließ. |
Nachdem Cicero in § 1, 4-5 Antonius noch dafür gelobt hatte, dass er und sein Kollege Dolabella sich einer kultischen Verehrung des toten Diktators noch in den Weg gestellt hatten, beklagt er nun umso effektvoller den Sinneswandel, der bei Antonius ab dem 1. Juni 44 v. Chr. eintrat.
[Philippicae 1, 6] Consules designati negabant se audere in senatum venire; |
Ecce: Nun aber (Ausruf des Unwillens) Kalendae Iuniae: der 1. Juni edicere: vorschreiben. Relativische Verschränkung von ut-Satz und Relativsatz: 'für den Antonius unser (der Senatoren) Erscheinen angeordnet hatte'. Antonius wollte an diesem Tag die Erlaubnis vom Senat erhalten, dass er die beiden gallischen Provinzen weitere zwei Jahre behalten durfte ; um diese Frage entbrannte dann Ende des Jahres 44 v. Chr. ein Krieg (siehe die Zeittafel). Es gibt eine zweite Lesart (edixerant). mutata: ergänze 'sunt' |
patriae liberatores urbe carebant ea, cuius a cervicibus iugum servile deiecerant; quos tamen ipsi consules in contionibus* et in omni sermone laudabant. |
cervix, cervicis, f.: der Nacken iugum: das Joch servilis, servile: sklavisch, Sklaven- |
Veterani* qui appellabantur, quibus hic ordo* diligentissime caverat, non ad conservationem earum rerum, quas habebant, sed ad spem novarum praedarum incitabantur. |
Veterani qui: das Relativpronomen muss vorgezogen werden, und ein Demonstrativpronomen ist zu ergänzen: II, qui veterani appellabantur,… |
Quae cum audire mallem quam videre haberemque ius legationis liberum, |
Quae cum: GH Relativpronomen: Relativischer Satzanschluss ius legationis: das Gesandtenrecht; eine Art Diplomatenpass, der Cicero freie Bewegung im ganzen Reich gestattete. |
Fortsetzung: Orationes Philippicae 1, 11.