Cicero, De Officiis 1, 34 – 39: Über den gerechten Krieg, (Übersetzung) |
Themen: Einführung in die Thematik des gerechten Krieges.
Diese Seite enthält den lateinischen Text und eine Übersetzung. Es gibt auch eine Seite ohne Überseztung, mit Übersetzungshilfen.
Thesen: 1. Der Frieden ist dem Krieg im Prinzip vorzuziehen; 2. Auch für den Umgang mit den Besiegten gelten bestimmte Regeln
Dieser Textauszug ist zugleich Teil der Textsammlung aus Ciceros Werk De officiis (Textsammlung: De officiis) und Teil des Lektüreprojekts bellum iustum - der gerechte Krieg (Textsammlung: bellum iustum). Zu diesem Thema gibt es auch eine Linksammlung mit Verweisen auf aktuelle Dokumente zur Frage, ob man heute noch bestimmte Kriege als gerechtfertigt ansehen kann.
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[De officiis 1, 34]
Sunt autem quaedam officia etiam adversus eos servanda, a quibus iniuriam acceperis. | Bestimmte Pflichten muss man aber auch gegenüber denjenigen einhalten, von denen man Unrecht erlitten hat. |
Est enim ulciscendi et puniendi modus; atque haud scio an satis sit eum, qui lacessierit, iniuriae suae paenitere, ut et ipse ne quid tale posthac et ceteri sint ad iniuriam tardiores. |
Denn für Rache und Strafe gibt es ein Maß; und vielleicht reicht es aus, dass derjenige, der eine Provokation begangen hat, Reue zeigt, damit sowohl er selbst nicht später ein solches Unrecht begeht als auch damit die Übrigen sich eher zurückhalten, ein Unrecht zu verüben. |
Atque in re publica maxime conservanda sunt iura belli. Nam cum sint duo genera decertandi, unum per disceptationem, alterum per vim, cumque illud proprium sit hominis, hoc beluarum, confugiendum est ad posterius, si uti non licet superiore. |
Und in der Politik ist das Kriegsrecht besonders zu beachten. Denn da es zwei Arten von Konfliktlösung gibt – eine mittels Verhandlung und eine mittels Gewaltanwendung – und da erstere spezifisch für den Menschen ist, die zweite für wilde Tiere, muss man Zuflucht zur letzteren (Gewaltanwendung) dann nehmen, wenn es nicht möglich ist, die erstgenannte (Verhandlung) anzuwenden. |
[De officiis 1, 35]
Die besiegten Feinde sind maßvoll zu behandeln.
Quare suscipienda quidem bella sunt ob eam causam, ut sine iniuria in pace vivatur, parta autem victoria conservandi ii, qui non crudeles in bello, non inmanes fuerunt, ut maiores nostri Tusculanos, Aequos, Volscos, Sabinos, Hernicos in civitatem etiam acceperunt, |
Darum muss man Kriege zwar anfangen zu dem Zweck, dass man ohne Unrecht im Frieden lebt, nach einem Sieg aber müssen diejenigen geschont werden, die im Krieg nicht grausam, nicht unmenschlich gewesen sind – so wie unsere Vorfahren die Tusculaner, Aequer, Volsker, Sabiner und Herniker sogar eingebürgert, Karthago und Numantia aber mit Stumpf und Stiel ausgerottet haben; Tusculaner, Aequer, Volsker, Sabiner und Hernier. KommentarKommentar zu den italischen VolksstämmenDie Tusculaner, Aequer, Volsker, Sabiner und Herniker waren Volksstämme, die in Italien lebten und die von den Römern in einer langen Folge von Kriegen vom 5. Jh. v. Chr. bis zum 3. Jh. v. Chr. besiegt, aber dann in das römische Bundesgenossensystem aufgenommen wurden. Siehe Tabelle zur römischen Geschichte. Karthago, Numantia (in Spanien): Karthago, Numantia, Städte, die von den Römern vernichtet wurden. KommentarKommentar zu Karthago und NumantiaCicero bezieht sich hier auf zwei Kriege, die die Römer mit fremden Völkern führten, deren Widerstand sie nach erbitterten Kriegen brachen. Karthago wurde im Dritten Punischen Krieg im Jahr 146 v. Chr. von den Römern endgültig besiegt und vernichtet; die spanische Stadt Numantia wurde 133 v. Chr. nach langer Belagerung zerstört. Siehe die Tabelle zur römischen Geschichte. |
Im folgenden Absatz erwähnt Cicero Vorfälle, bei denen die Römer sich weniger korrekt verhalten haben.
nollem Corinthum, sed credo aliquid secutos, oportunitatem loci maxime, ne posset aliquando ad bellum faciendum locus ipse adhortari. |
Ich wollte, sie hätten Korinth nicht vollständig zerstört, aber ich glaube, sie hatten etwas im Sinn, vor allem die Lage des Ortes, damit der Ort selbst nicht irgenwann einen Anlass geben könnte, Krieg zu führen. KommentarKommentar zu Ciceros Aussagen über die Zerstörung KorinthsKorinth wurde 146 v. Chr. von den Römern vollständig zerstört, nachdem es sich dem Widerstand gegen Rom angeschlossen hatte (Tabelle zur römischen Geschichte). Cicero kritisiert diese Zerstörung Korinths hier andeutungsweise und im weiteren Verlauf des Werkes De Officiis noch einmal ausdrücklich in De officiis 3, 46. |
Mea quidem sententia paci, quae nihil habitura sit insidiarum, semper est consulendum. |
Meiner Meinung nach freilich muss man sich immer um einen Frieden bemühen, von dem zu erwarten ist, dass er keine Heimtücke beinhaltet. |
In quo si mihi esset obtemperatum, si non optimam, at aliquam rem publicam, quae nunc nulla est, haberemus. |
Wenn man mir in diesem Punkt gefolgt wäre, hätten wir wenn nicht den besten, so doch wenigstens überhaupt einen Staat – der jetzt gar nicht mehr besteht. In diesem Satz spielt Cicero auf die Diktatur Caesars an. Das vorliegende Werk hat Cicero vom Oktober 44 v. Chr. bis zum Ende des Jahres, also nach Caesars Ermordung geschrieben. |
Et cum iis, quos vi deviceris, consulendum est, tum ii, qui armis positis ad imperatorum fidem confugient, quamvis murum aries percusserit, recipiendi. |
Und man muss nicht nur für diejenigen Sorge tragen, die man gewaltsam besiegt hat, sondern ganz besonders müssen diejenigen aufgenommen werden, die ihre Waffen niedergelegt haben und Schutz beim (gegnerischen) Feldherrn suchen – auch wenn der Rammbock bereits die Mauer erschüttert hat. |
In quo tantopere apud nostros iustitia culta est, ut ii, qui civitates aut nationes devictas bello in fidem recepissent, earum patroni essent more maiorum. |
In dieser Frage ist die Gerechtigkeit bei den Unsrigen in solchem Maße geachtet worden, dass diejenigen, die Gemeinden und Völker nach dem militärischen Sieg in ihren Schutz aufgenommen hatten, deren Schutzherren waren nach Sitte unserer Vorfahren. |
Auch im Krieg gelten bestimmte Rechtsgrundsätze
[De officiis 1, 36] Der Text wurde gekürzt; die Auslassungen sind mit [...] gekennzeichnet.
[...] |
Die Gerechtigkeit im Krieg ist jedenfalls aufs Unverletztlichste im Fetialrecht des römischen Volkes festgeschrieben. Aufgrund dieses Rechts kann man nachvollziehen, dass es keinen gerechten Krieg gibt außer dem, der entweder für Schadensersatz geführt wird oder der zuvor angekündigt und erklärt worden ist. Fetialrecht: Das römische Fetialrecht gehörte zum religiösen Bereich des Rechts. Es sah vor, dass ein zwanzigköpfiges Priesterkollegium über die rechtmäßige Kriegserklärung wachte. |
De officiis 1, 38 Cum vero de imperio decertatur belloque quaeritur gloria, causas omnino subesse tamen oportet easdem, quas dixi paulo ante iustas causas esse bellorum. Sed ea bella, quibus imperii proposita gloria est, minus acerbe gerenda sunt. |
Wenn aber um die Herrschaft gekämpft und im Krieg Ruhm gesucht wird, müssen doch insgesamt dieselben Gründe zugrunde liegen, die ich kurz zuvor als gerechte Gründe für einen Krieg genannt habe. Aber diejenigen Kriege, die als Ziel den Ruhm haben, müssen weniger erbittert geführt werden. |
Ut enim, cum civiliter contendimus, contendimus aliter, si est inimicus, aliter si competitor (cum altero certamen honoris et dignitatis est, cum altero capitis et famae), sic cum Celtiberis, cum Cimbris bellum ut cum inimicis gerebatur, uter esset, non uter imperaret, cum Latinis, Sabinis, Samnitibus, Poenis, Pyrrho de imperio dimicabatur. |
So wie wir nämlich in der Auseinandersetzung mit einem Mitbürger anders streiten, wenn es sich um einen Feind handelt, und anders, wenn um einen Konkurrenten (mit dem zweiten streitet man um Ehre und Ansehen, mit dem ersten ums Überleben und um den guten Ruf) – so wurde mit den Keltiberern und den Kimbern Krieg wie mit Feinden darum geführt, wer überlebt, nicht, wer herrscht, mit den Latinern, Sabinern, Samniten, Puniern und Pyrrhus aber um die Herrschaft. Pyrrhus: König von Epeiros und Makedonien im 4. und 3. Jh. v. Chr. Er führte um 280 v. Chr. mit den Römern Krieg. Keltiberer, Kimbern. KommentarKommentarMit den Keltiberern, die ursprünglich das spanische Tafelland (Meseta Central) bewohnten, führte Rom 153 – 133 v. Chr., mit den Kimbern, einem germanischen Volk, das vermutlich aus Jütland (heute Dänemark) stammte, führte es 113 – 101 v. Chr. Krieg. Siehe die Tabelle zur römischen Geschichte (154 v. Ch. und 105 v. Chr.). |
Auch gegenüber dem Feind ist ein Versprechen zu halten. Die Geschichte, die Cicero hier wiedergibt, ist ein typisches exemplum (Beispiel) römischer Tugendhaftigkeit.
[De officiis 1, 39] Atque etiam si quid singuli temporibus adducti hosti promiserunt, est in eo ipso fides conservanda, ut primo Punico bello Regulus captus a Poenis, cum de captivis commutandis Romam missus esset iurassetque se rediturum, primum, ut venit, captivos reddendos in senatu non censuit, deinde, cum retineretur a propinquis et ab amicis, ad supplicium redire maluit quam fidem hosti datam fallere. |
Und auch wenn einzelne Personen, gezwungen durch die Umstände, dem Feind ein Versprechen gegeben haben, ist die Zusage in genau diesem Punkt einzuhalten: Z. B. war im Punischen Krieg Regulus von den Puniern gefangen genommen worden; und nachdem er (von den Puniern) nach Rom geschickt worden war, um über einen Gefangenenaustausch zu verhandeln und unter Eid seine Rückkehr versprochen hatte, sprach er sich nach seiner Ankunft im Senat dagegen aus, die Gefangenen (gegen ihn) auszutauschen. Als dann von Angehörigen und Freunden versucht wurde, ihn zurückzuhalten, wollte er lieber zurückkehren und hingerichtet werden als das dem Feind gegebene Versprechen brechen. |
Fragen zur Bearbeitung und Diskussion
- Arbeiten Sie aus dem Text die behandelten Themen heraus und bestimmen Sie zu jedem Thema die Thesen oder Forderungen, die der Autor aufstellt. Sie können eine Tabelle verwenden. Beispiel für den ersten Abschnitt (De officiis 1, 34):
Thema
These und Forderungen
1, 34
Umgang mit Gegnern im Krieg
nicht maßlos strafen bzw. sich rächen
Formen der Konfliktlösung
Es gibt 2 Arten von Konfliktlösung: mit Verhandlung und mit Gewalt.
Die Konfliktlösung mit Verhandlung ist besser.
- Cicero nennt in 1, 36 Voraussetzungen für einen gerechten Krieg. Benennen Sie diese Voraussetzungen und nehmen Sie zu der Frage Stellung, ob Sie dem Autor zustimmen, dass unter diesen Voraussetzungen ein Krieg als gerecht bezeichnet werden kann.
Wenn Sie in Gruppen arbeiten, dann sammeln Sie in Ihrer Gruppe die Argumente, die dafür und die dagegen sprechen, dass Kriege überhaupt als gerecht bezeichnet werden können. - In 1, 38 unterscheidet Cicero zwischen zwei Arten von Kriegsgegnern – Feinden und Konkurrenten. Diskutieren Sie vor dem Hintergrund aktueller Konflikte, ob diese Unterscheidung heute noch Gültigkeit beanspruchen kann.
- Beschreiben Sie die Motive, die den Feldherrn Regulus dazu veranlassten, zu den Karthagern und damit in den sicheren Tod zurückzukehren, und nehmen Sie Stellung zu der Frage, ob Sie sein Verhalten als sinnvoll erachten.
- Übergreifende Fragen:
- Fassen Sie Ciceros Ansichten zur Grausamkeit in ein bis zwei Sätzen zusammen.
- Fassen Sie Ciceros Ansichten zum Wert der friedlichen Konfliktlösung in ein bis zwei Sätzen zusammen.
- Nehmen Sie Stellung zu der Frage, ob diese Haltung, die Cicero hier in Worte fasst, heute als Leitlinien für die Diskussion über Krieg und Frieden gelten sollten, und begründen Sie Ihre Entscheidung.
Fortsetzung zum Thema gerechter Krieg: De officiis 3, 46.
Fortsetzung im 1. Buch: De officiis 1, 42: Über die Wohltätigkeit
Herausgeber: Landesbildungsserver Baden-Württemberg
Quelle: https://www.schule-bw.de
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