Ausgangssituation

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ZIELGRUPPE

Zielgruppe sind Schülerinnen und Schüler, die neu zugewandert sind und in der Regel zum ersten Mal bzw. seit kurzem eine deutsche Grundschule besu­chen. In den meisten Fällen reichen deren Kenntnisse und Fähigkeiten in der deutschen Sprache nicht aus, um am Regelunterricht erfolgreich teilzunehmen.


ZIELSETZUNGEN

  • Förderung des individuellen sprachlichen Lernens entlang der Erwerbsstufen, aufbauend auf einer individuellen Diagnose des Sprachstandes / der Lernausgangslage unter Berücksichtigung der möglichen Einflussfaktoren
  • Einbezug der individuellen Kompetenzen / Fähigkeiten in der Erstsprache/den Erstsprachen
  • Befähigung zur erfolgreichen Teilnahme am Regelunterricht
  • Anbahnung und Ausbau bildungssprachlicher und methodischer Kompetenzen
  • Vorbereitung auf das Lernen im Fachunterricht der Grundschule
  • Raum zum Lernen: Schaffung vielfältiger Lerngelegenheiten und -­zugänge
  • Berücksichtigung und Stärkung der Schutzfaktoren

 

HÜRDEN ÜBERWINDEN

Der Spracherwerb der Kinder ist bei Eintritt in die Schule nicht abgeschlossen. Er verläuft nicht einheit­lich, weist sowohl in der Dauer als auch im Verlauf individuelle Unterschiede auf und unterliegt zahlrei­chen Einflüssen.

Einflussfaktoren auf den Zweitspracherwerb
Die Arbeit mit, der Erwerb des Deutschen als Zweit­sprache von Schülerinnen und Schülern und somit auch das Ankommen und Zurechtfinden der Kinder und Jugendlichen unterliegen zahlreichen (mögli­chen) Einflussfaktoren. Bei diesen wird unterschieden zwischen Faktoren, die den Sprachgebrauch betreffen, sprachbezogenen Faktoren und nichtsprachlichen Aspekten. Letztere wiederum werden unterteilt in interne und externe Faktoren.

Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen die affektiven Einflussgrößen wie die Motivation bzw. der Antrieb. Diese beinhalten persönliche Interessen, Wünsche und Einstellungen, emotionale Beziehungen zu Sprecherinnen und Sprechern der Zielsprache, individuelle positive und negative Lernerfahrungen sowie die Leistungsbereitschaft. Wobei hier nicht nur die Einstellungen der Lernenden in den Blick zu nehmen sind, sondern auch die der Eltern/Erziehungs­berechtigten, der Peergroup und der Lehrpersonen. Ebenso darf der unterrichtliche Aspekt nicht außer Acht gelassen werden. So spielen Art und Umfang sowie Qualität und Quantität des Unterrichts oder des Förderangebots eine große Rolle.

Eine zusätzliche Schwierigkeit ist, dass sich diese Fak­toren nicht trennscharf voneinander abgrenzen lassen und sich gegenseitig bedingen. Auch sind einige der Faktoren nur schwer zugänglich und bedürfen einer längerfristigen Beobachtung. Wichtig ist, dass die Lehrpersonen ein Wissen über diese möglichen Einflüsse besitzen und diese im unterrichtlichen Handeln, soweit möglich, mit berücksichtigen. 

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Topologische UnterschiedeTopologische UnterschiedeTopologische Unterschiede: Verortung der Sprachentwicklung in der Erstsprache im Vergleich zur Zweitsprache --> Glossar   Reparative MaßnahmenReparative MaßnahmenReparative Maßnahmen: Selbst- und Fremdkorrekturverfahren; korrektives Feedback, Aussprachekorrektur; formen- beziehungsweise inhaltsbezogene Korrekturen. --> Glossar

 

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Resilienzfaktoren / Schutzfaktoren

Die Kinder und Jugendlichen sind vielfältigen unbe­kannten Situationen ausgesetzt, die für sie eine große Herausforderung in ihrer Entwicklung darstellen. Für die Bewältigung dieser sind die aus der Resilienzfor­schung stammenden Schutzfaktoren (z. B. Selbstwahr­nehmung, Problemlösefähigkeit und Sozialkompetenz) von zentraler Bedeutung. Diese ResilienzfaktorenResilienzfaktorenSchutzfaktoren; personale und soziale Schutzfaktoren für das erfolgreiche Bewältigen von Herausforderung (Siehe auch Deutsch im Kontext von Mehrsprachigkeit – Grundlagen und Anregungen für die Spracharbeit, S. 52).
Resilienz: (lateinisch resilire: zurückspringen, abprallen) innere Widerstandsfähigkeit, durch die Menschen Krisensituationen bewältigen.--> Glossar
gilt es im Umgang mit den Schülerinnen und Schülern in den Blick zu nehmen und zu stärken. Siehe hierzu auch: Deutsch im Kontext von Mehrsprachigkeit – Grundlagen und Anregungen, Kapitel 1.

 

Erwerb des Deutschen als Zweitsprache
Der Erwerb des Deutschen als Zweitsprache verläuft in vielen Bereichen gleich/ähnlich dem in der Erstspra­che. Allerdings gibt es auch Bereiche, in denen sich der Erwerb unterscheidet (siehe hierzu auch Deutsch als Zweitsprache in der Grundschule, Kapitel 2).

Besonders in den Blick zu nehmen sind bestimmte Bereiche der Grammatik, wie die Morphologie (Wort­bildung) und der Syntax (Satzbildung).
Auch können Bereiche wie

  • der Gebrauch der Präpositionen (Bedeutung und Anwendung, Genus und Kasusmarkierung, Wechselpräpositionen),
  • die Deklination von Nomen und Pronomen,
  • Formenbestand unregelmäßiger Verben,
  • trennbare Verben,
  • Pluralbildung und Pluralkonkordanz (acht Variationen im Deutschen),
  • Genus und Genuskonkordanz
    Schwierigkeiten bereiten (vgl. Rösch 2003, S. 29f).

Beeinflusst wird der Erwerb von den zuvor ausgeführ­ten vielfältigen Einflussfaktoren. Als Bezugsnorm für den Verlauf der Sprachaneignung im einsprachigen Erwerb gilt die Entwicklung aufgrund des Alters. Zwar werden Zeitfenster formuliert, in denen eine Ent­wicklung stattfinden kann, individuelle Erwerbs-­ und Entwicklungsverläufe werden aber nicht hinreichend berücksichtigt. Gerade bei Kindern, die das Deutsche als Zweitsprache erwerben, spielen aber genau diese eine erhebliche Rolle.

Weiterführende Literatur
Beobachtungsbogen für die Sprachförderung im Hinblick auf die Stolpersteine der deutschen Sprache. In: Rösch, Heidi (Hrsg.)(2003): Deutsch als Zweitsprache. Sprachförderung – Grundlagen – Übungsideen – Kopiervorlagen. Schroedel. Braunschweig.
Landesinstitut für Schulentwicklung Baden­-Würt­temberg (2014): Handreichung „Mehrebenenkonzept zur Förderung von Lebenskompetenz und Resilienz“. Stuttgart.



Alltagssprache – Bildungssprache / BICS & CALP
Häufig verfügen Kinder über gute mündlich-­kom­munikative Kompetenzen und können so an der Unterrichtskommunikation ohne größere Probleme teilnehmen. Schwierigkeiten in der Kommunikation können durch Gestik und Mimik oder auch durch das Vermeiden bestimmter Thematiken ausgeglichen werden. Erst wenn die Unterrichtskommunikation und der Unterrichtsinhalt stärker auf konzeptionell schrift­lichen Kenntnissen aufbauen, fallen diese „verdeckten Sprachschwierigkeiten“ (Knapp 1999) auf.

Die Diskrepanz zwischen der Beherrschung der grund­legenden kommunikativen Fähigkeiten (BICS Basic Interpersonal Communicative Skills), welche vorrangig in Alltagssituationen zum Tragen kommen und der kognitiv­-akademischen Fähigkeiten (CALP Cognitive Academic Language Proficiency CALP Cognitive Academic Language Proficiency Das Konzept BICS und CALP geht zurück auf Cummins 2000.), die durch Schrift­lichkeit gekennzeichnet sind, wird auch im Zusammenhang mit den Begrifflichkeiten der Alltags-­ und Bildungssprache thematisiert (weitere Ausführungen zu dieser Thematik sind nachzulesen unter:  Ziel: Bildungssprache). Die kommunikativen Fähigkeiten werden von den Schülerinnen und Schülern relativ schnell in der Interaktion im Alltag erworben, das bildungs­sprachliche Register dagegen wird fast ausschließlich in der Schule und im Zusammenhang mit fachlichen Inhalten erworben. Gekennzeichnet ist dies durch komplexere Satzstrukturen, zunehmend abstraktere Begriffe und eine höhere Informationsdichte (vgl. Rösch 2011).


Im Unterricht sollte daher von Anfang an die Förde­rung der bildungssprachlichen Kompetenzen eine Rolle spielen.

Weiterführende Literatur

 

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Bezugsnormproblem

Das Einordnen und Messen der Leistungen und insbesondere der sprachlichen Leistungen der Schülerinnen und Schülern basierend auf Annahmen einer altersgerechten Entwicklung ist schwierig, da aufgrund der zuvor beschriebenen Einflussfaktoren diese als Bezugsnorm nicht hinreichend ist. Berück­sichtigt werden muss auch, welche Fähigkeiten bei einem Kind nach beispielsweise zwei Lernjahren oder acht Kontaktmonaten mit der deutschen Sprache er­wartet werden können und nicht nur, was in einem bestimmten Alter zu erwarten ist (vgl. Ehlich/Bredel/Reich 2009, S. 28f). Bei der Planung und Durchführung von Unterricht sowie der Erfassung und der Do­kumentation von Lernausgangslagen und ­-fortschritten ist zu berücksichtigen, dass die Erwartungen, die von der Lehrperson an das jeweilige Kind gestellt werden, unter Umständen nicht dem entsprechen, was vom Kind geleistet werden kann. Dessen muss sich die Lehrperson bewusst sein und ihre Erwartungen, Beobachtungen und Einschätzungen evtl. überdenken sowie die Leistungen der Schülerinnen und Schüler dahin gehend einordnen und interpretieren. Ebenso muss dies bei der Auswahl und dem Einsatz von Ver­fahren zur Erhebung des Leistungs-­ und Sprachstandes mit berücksichtigt werden (weitere Ausführungen hierzu unter Diagnose).



Ziele der Regelklasse

Die in der Regelklasse erwarteten Kompetenzen, basierend auf dem jeweiligen Bildungsplan, spiegeln in der Regel die Kompetenzen / Erwartungen wider, die auf einer altersentsprechenden und ungestörten Entwicklung beruhen. Es ist nach den zuvor gemachten Ausführungen klar, dass die für die Regelklasse geltenden Ziele lediglich ein Teil der Grundlage für die Einschätzung des Lernstandes der Schülerinnen und Schüler sein kann. Es bedarf einer Einschätzung des Lernstandes unter Berücksichtigung der möglichen Einflussfaktoren und der (individuellen) Erwerbs­verläufe sowie der sogenannten Schutzfaktoren wie z. B. Selbstwahrnehmung, Problemlösefähigkeit und Sozialkompetenz.

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Interkulturelle Unterschiede
Sprachliche Vielfalt bedeutet gleichzeitig kulturelle Vielfalt. Diesen kulturellen Reichtum der Schülerin­nen und Schüler gilt es als solchen wahrzunehmen und konstruktiv zu nutzen, um Konflikten auf kultu­reller Ebene angemessen zu begegnen.

Die Kinder und Jugendlichen kommen aufgrund der in ihren Herkunftsländern möglicherweise vorherr­schenden Konflikte unter Umständen mit bestimmten vorgefertigten Denkmustern nach Deutschland. Vorur­teile Mitgliedern anderer Kulturen gegenüber können in der Vorbereitungsklasse, in der viele verschiedene Kulturen aufeinandertreffen, leicht zu Konflikten führen. Diese sollten rechtzeitig thematisiert und im Unterricht auch zum Unterrichtsgegenstand gemacht werden. Dabei werden die Kinder und Jugendlichen in ihrer individuellen Biografie wertgeschätzt und in ihren transkulturellen Identitäten gestärkt. Die Schülerinnen und Schüler sollten stets motiviert werden, über ihre kulturellen Hintergründe zu berichten und (kleine) Präsentationen darüber in der Vorbereitungs­klasse zu halten.

Im Fokus dabei steht die Einzigartigkeit des einzelnen Kindes mit seiner Biografie, die sich von der der Mitschülerinnen und Mitschülern (auch aus dem gleichen Herkunftsland) unterscheiden kann und darf. Das Erlernen gegenseitiger Toleranz und Akzeptanz bildet die Grundlage für ein friedliches Miteinander.



Haltung und Wertschätzung

Eine grundlegende Voraussetzung sowie die beste Motivation der Lernenden für das Ausschöpfen ihres Potenzials bestehen darin, dass sie von der gesamten Schulgemeinschaft in ihren Bemühungen gesehen, an­erkannt und wert geschätzt werden. Sie leisten meist Außerordentliches an der Grenze zur Überlastung.

Wichtig und hilfreich ist eine Sensibilisierung des gesamten Kollegiums für die Bedürfnisse dieser Schü­lerinnen und Schüler durch ...

  • einen Perspektivwechsel, indem die Lehrpersonen in eine vergleichbare Rolle schlüpfen und sich vorstellen, Bildungsangebote in einem Land nutzen zu müssen, dessen Sprache sie noch nicht oder nur wenig beherrschen und in dem sie noch kein soziales Netz haben. Dazu gibt es auch für Schülergruppen Sensibilisierungsspiele;
  • eine wertschätzende Wahrnehmung der Erfahrungen, Kenntnisse und kulturellen Ressourcen der Lernenden (vgl. Schader 2013);
  • eine vorurteilsbewusste Haltung, die die Lernenden in ihren individuellen Bedingungen sieht und von negativen bzw. kulturalisierenden Gruppenzuwei­sungen absieht (vgl. Auernheimer 2016). Diese haben unter Umständen Einfluss auf die Förderung und vor allen Dingen Forderung und auf die Motivation der Lernenden sowie auf ihren Integrationsprozess;
  • eine zugewandte, fürsorgliche Haltung für strukturelle Entscheidungen, wie die Organisation von Fördermaßnahmen, die einer Überlastung der Lernenden vorbeugt;
  • die Einbindung in eine sozial passende Regelklasse;
  • eine schulweite positive Wahrnehmung für den alltäglichen Umgang, diese zeigt sich z. B. in der unterrichtlichen Interaktion und in der aktiven Einbindung in außerunterrichtliche Veranstaltungen und im Schulleben.

Info Ressourcenorientierte (Förder-) Diagnostik unter Einbezug möglicher Einflussfaktoren und Stärkung der Schutzfaktoren

 

GELINGENSFAKTOREN

  • Erfassen der Lernausgangslage
  • Betrachtung der einzelnen Kompetenzbereiche
  • Berücksichtigung möglicher Einflussfaktoren
  • Berücksichtigung der (individuellen) Erwerbsverläufe
  • Betrachtung der Sprachbiografie
  • Berücksichtigung der Kompetenzen in der Erstsprache
  • Schaffung vielfältiger Lernsituationen
  • Wertschätzende Haltung
  • Stärkung der Resilienzfaktoren/Schutzfaktoren
  • Zuverlässige Strukturen und Ansprechpartner
  • „Lernen über den Unterricht hinaus“: Schaffen von außerunterrichtlichen Lerngelegenheiten

 

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Herausgeber: Landesbildungsserver Baden-Württemberg
Quelle: https://www.schule-bw.de

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