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M. Tullius Cicero, De finibus bonorum et malorum

Cicero, De finibus 1, 65-66: Die epikureische Theorie der Freundschaft

Epikur und die Freundschaft, Teil 1, mit Übersetzung

Die Hochschätzung der Freundschaft in der epikureischen Philosophie und der Beweis für diese Hochschätzung in Epikurs Leben

Diesen Text können Sie auch ohne Übersetzung, aber mit Vokabelhilfen lesen.

 

1, 65. Restat locus huic disputationi vel maxime necessarius de amicitia, quam, si voluptas summum sit bonum, affirmatis nullam omnino fore.

De qua Epicurus quidem ita dicit, omnium rerum, quas ad beate vivendum sapientia comparaverit, nihil esse maius amicitia, nihil uberius, nihil iucundius.

Nec vero hoc oratione solum, sed multo magis vita et factis et moribus comprobavit.

Es bleibt noch der für diese Debatte sehr wichtige Gegenstand der Freundschaft übrig, von der ihr behauptet, dass sie, wenn die Lust das höchste Gut ist, überhaupt nicht existiert. Über diese sagt Epikur allerdings, dass von allen Dingen, die die Weisheit für das glückliche Leben bereitgestellt habe, nichts besser sei als die Freundschaft, nichts fruchtbarer und nichts angenehmer.

Und er hat dies nicht nur durch die Rede allein, sondern noch viel mehr durch sein Leben, durch seine Taten und seinen Charakter bewiesen.

Quod quam magnum sit fictae veterum fabulae declarant, in quibus tam multis tamque variis ab ultima antiquitate repetitis tria vix amicorum paria reperiuntur, ut ad Orestem pervenias profectus a Theseo.

Wie bedeutend dies ist, das erläutern die erfundenen Geschichten der Alten, in denen man, obgleich sie so zahlreich und vielfältig von der frühesten Urzeit an wiederholt wurden, kaum drei Freundespaare findet, wobei man, bei Theseus beginnend, zu Orest gelangt.

At vero Epicurus una in domo, et ea quidem angusta, quam magnos quantaque amoris conspiratione consentientes tenuit amicorum greges! quod fit etiam nunc ab Epicureis.

Sed ad rem redeamus; de hominibus dici non necesse est.

Aber Epikur hingegen – wie groß sind die Freundesscharen, die er in einem einzigen Haus, und zudem in einem beengten, versammelte, und mit was für einem außerordentlichen Liebesband hielt er diese zusammen! Das ist bei den Epikureern auch heute noch so.

Aber wir sollten zum Thema zurückkommen; es ist nicht nötig, über die Menschen zu sprechen.

 

Die erste Verteidigung der epikureischen Freundschaftslehre: Die Vernunft empfiehlt die Freundschaft auch demjenigen, der die eigene Lust anstrebt.

66 Tribus igitur modis video esse a nostris de amicitia disputatum.

Alii cum eas voluptates, quae ad amicos pertinerent, negarent esse per se ipsas tam expetendas, quam nostras expeteremus, quo loco videtur quibusdam stabilitas amicitiae vacillare, tuentur tamen eum locum seque facile, ut mihi videtur, expediunt.

Ich sehe, dass von unseren Leuten auf drei Arten über die Freundschaft gesprochen wurde.

Während die einen es verneinten, dass die Freuden, die sich auf die Freunde beziehen, um ihrer selbst willen so erstrebenswert wie unsere eigenen Freuden seien – eine These, bei der für manche die Festigkeit der Freundschaft zu wanken scheint – halten sie diese These dennoch aufrecht und retten sich leicht, wie mir scheint.

Ut enim virtutes, de quibus ante dictum est, sic amicitiam negant posse a voluptate discedere.

Wie nämlich auch die Tugenden, über die oben gesprochen wurde, so könne auch die Freundschaft, so sagen sie, nicht von der Lust losgelöst werden.

Nam cum solitudo et vita sine amicis insidiarum et metus plena sit, ratio ipsa monet amicitias comparare, quibus partis confirmatur animus et a spe pariendarum voluptatum seiungi non potest.

Denn weil Einsamkeit und ein Leben ohne Freunde voll von Furcht und Nachstellungen ist, mahnt die Vernunft selbst dazu, sich Freundschaften zu erwerben, denn wenn man diese erlangt hat, wird der Geist gestärkt und kann von der Hoffnung auf Lustgewinn nicht abgebracht werden.

 

De finibus 65-66: 211 Wörter

Weiter mit De finibus 1, 67-68 (Text mit Übersetzung).


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