Geschichtlicher Hintergrund
Die Europäische Menschenrechtskonvention von 1950 und das Beschwerderecht
Nachdem die Vereinten Nationen 1948 in der Allgemeinen Menschenrechtserklärung die Grundrechte der Menschen verkündet hatten, erließ der Europarat die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, die am 4. November 1950 in Rom unterzeichnet wurde und im September 1953 in Kraft trat. Damit sollen die von den Vereinten Nationen deklamatorisch verkündeten Rechte in die europäische Praxis umgesetzt werden.
Zur Durchsetzung der von den Mitgliedstaaten eingegangenen Verpflichtungen wurden drei Organe errichtet: die Europäische Kommission für Menschenrechte (1954), der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (1959) und das Ministerkomitee des Europarates, das sich aus den Außenministern der Mitgliedstaaten oder deren Stellvertretern zusammensetzt.
Nach der in der Konvention von 1950 niedergelegten ursprünglichen Regelung konnten aufgrund möglicher Verletzungen der in der Konvention garantierten Rechte die Mitgliedstaaten bei der Kommission Beschwerden gegen einen anderen Mitgliedstaat einlegen. Hatten die Mitgliedstaaten das Recht zur Individualbeschwerde zugelassen, stand das Beschwerderecht auch natürlichen Personen, Personenvereinigungen und nichtstaatlichen Organisationen zu.
Die Kommission überprüfte zunächst die Beschwerden auf ihre Zulässigkeit. Konnte daraufhin keine gütliche Einigung erzielt werden, fasste die Kommission in einem Bericht den Sachverhalt zusammen, begründete ihre Meinung, dass der Fall zulässig sei und leitete den Bericht an den Ministerrat weiter.
Mit der Einrichtung des Gerichtshofs waren die Mitgliedsländer gehalten, dessen Rechtsprechung als bindend anzuerkennen. Wenn der betroffene Staat diese Rechtsprechung anerkannt hatte, konnten sowohl die Kommission als auch jeder betroffene Staat innerhalb von 3 Monaten nach Zuleitung des Kommissionsberichts an das Ministerkomitee den Fall vor den Gerichtshof bringen, um eine endgültige verbindliche Entscheidung herbeizuführen. Einzelpersonen stand das Recht, den Gerichtshof anzurufen, nicht zu.
Wurde der Fall nicht dem Gerichtshof übergeben, entschied das Ministerkomitee, ob eine Konventionsverletzung vorlag und sprach dem Opfer, falls notwendig, eine gerechte Entschädigung zu. Das Ministerkomitee war auch dafür verantwortlich, die Umsetzung der Urteile des Gerichtshofs zu überwachen.
Die nachfolgenden Entwicklungen
Seit Inkrafttreten der Konvention wurden 13 Zusatzprotokolle verabschiedet:
- Die Zusatzprotokolle Nr. 1, 4, 6, 7, 12 und 13 fügten weitere Rechte und Freiheiten zur Konvention hinzu.
- Das Zusatzprotokoll Nr. 2 ermächtigte den Gerichtshof, Gutachten zu erstellen.
- Das Zusatzprotokoll Nr. 9 gab Einzelpersonen die Möglichkeit, ihre Beschwerden vor den Gerichtshof zu bringen unter der Bedingung, dass der betroffene Staat eben dieses Zusatzprotokoll ratifiziert hatte und dass ein vorgeschaltetes Komitee zustimmte.
- Das Zusatzprotokoll Nr. 11 ordnete den Kontrollmechanismus neu (siehe unten).
- Die verbleibenden Protokolle betrafen die Organisation und das Verfahren vor den Konventionsorganen.
- Das am 3. Mai 2002 in Vilnius unterzeichnete 13. Zusatzprotokoll sieht die vollständige Abschaffung der Todesstrafe vor.
Reform des Verfahrens
Ab 1980 wuchs die Zahl der vor den Konventionsorganen eingelegten Beschwerden so stark, dass es schwierig wurde, die Verfahren in angemessener Zeit abzuschließen. Dieses Problem verschärfte sich noch ab 1990 mit der Aufnahme neuer Mitgliedstaaten. Die Zahl der jährlich registrierten Beschwerden nahm von 404 Beschwerden im Jahre 1981 auf 4750 Beschwerden im Jahre 1997 zu. Die Zahl der unregistrierten oder provisorischen Akten, die jedes Jahr von der Kommission angelegt wurden, lag bis 1997 bei über 12000. Die Statistik des Gerichtshofs sah ähnlich aus: Die Zahl der jährlich vor den Gerichtshof gebrachten Beschwerden stieg von 7 im Jahre 1981 auf 119 im Jahre 1997.
Diese zunehmende Zahl der Fälle verursachte eine lange Debatte über die Notwendigkeit einer Reform der Überwachungsorgane der Konvention, die zur Unterzeichnung des 11. Zusatzprotokolls vom 11. Mai 1994 führte. Ziel war es, durch die Schaffung eines einzigen ständigen Gerichthofs die Strukturen zu vereinfachen, um die Verfahrenslänge zu verkürzen. Gleichzeitig sollte der gerichtliche Charakter des Systems dadurch gestärkt werden, dass die Rechtsprechung des Gerichtshofs umfassende Verbindlichkeit erlangte und die rechtsprechende Rolle des Ministerkomitees abgeschafft wurde (siehe unten).
Am 1. November 1998 trat das 11. Zusatzprotokoll in Kraft. Es sah eine einjährige Übergangsperiode (bis zum 31. August 1999) vor, während derer die Kommission diejenigen Beschwerden weiterbehandelte, die sie vor diesem Datum für zulässig erklärt hatte.
Trotz aller Reformbemühungen nahm während der drei darauf folgenden Jahre die Arbeitsbelastung des Gerichtshofs weiter zu. Die Zahl der eingelegten Beschwerden stieg von 5979 im Jahr 1998 auf 13858 im Jahr 2001. Abhilfe konnte nur eine vergrößerte personelle Ausstattung und eine mögliche neue Reform bringen. Dem entsprechend wurde auf der Ministerkonferenz über Menschenrechte am 3. und 4. November 2000 in Rom, die anlässlich des 50. Jahrestages der Auslegung der Konvention zur Unterzeichnung stattfand, in einer Resolution aufgefordert, Überlegungen anzustellen, wie die Arbeitsfähigkeit des Gerichts gewährleistet werden konnte.